
EU-Verbraucherrecht In Deutschland behandelt, in Österreich verklagt

Ein Arzt mit Praxis in Grenznähe zu Österreich operierte einen Patienten mit Wohnort in der Alpenrepublik. Die Praxis hatte sich im Internet gezielt auch an potenzielle Patientinnen und Patienten des deutschsprachigen Nachbarlandes gerichtet. Leider kam der Patient nach der Behandlung zu der Überzeugung, dass Aufklärung und Behandlung fehlerhaft waren. Er erhob Zivilklage in Österreich, in seiner Heimatstadt. Kann er das?
Wird ein Behandlungsgeschehen in Deutschland verhandelt, hat das deutsche Gericht das deutsche Zivilrecht mit den §§ 630a ff. BGB als materielles Recht anzuwenden. Als Prozess- oder Verfahrensrecht gilt die deutsche Zivilprozessordnung. Seit 2015 ermöglicht es eine EU-Regelung zum Verbrauchergerichtsstand aber, Klagen gegen Unternehmen nicht in dem Land zu erheben, in dem das Unternehmen niedergelassen ist, sondern am eigenen Wohnort. „Das macht es Verbraucherinnen und Verbrauchern leichter, sich juristisch zur Wehr zu setzen“, erklärt Rechtsanwalt Dirk R. Hartmann.
Damit diese Regelung des Art. 17 EuGVVO greift, ist eine länderübergreifende Geschäftsbeziehung Voraussetzung. Die schon in der Anbahnung liegen kann. Macht also eine Arztpraxis gezielt Werbung in einem anderen EU-Land und es kommt hierauf eine Geschäftsbeziehung zustande, über die im Anschluss gestritten wird, kann die Patientin bzw. der Patient auf den eigenen Wohnort als Gerichtsstand pochen. „Dabei muss sich aber durch irgendeine Handlung erkennen lassen, dass die Praxis ihre Tätigkeit bewusst auch auf dieses Land erstrecken wollte“, so Hartmann.
Anfahrtsskizze kann zum Verhängnis werden
Anzeichen für diese Intention kann sein, dass die Praxis Werbung für den dortigen Markt ausspielt oder Bankkonten, Telefonnummern und Websites mit der dortigen Länderkennung unterhält. Ebenso wenn eine Praxis z. B. auf ihrer Webseite schreibt „Wir behandeln gerne auch Patienten aus Österreich“, sieht das Gesetz die Voraussetzung als erfüllt an. Oder wenn sie Anfahrtsskizzen für die Fahrt von Österreich zur Praxis bietet.
Grenznähe ist dabei keine Bedingung: Eine Praxis oder Klinik in der Nähe des Frankfurter Flughafens kann ebenfalls mit Hinweisen zur Anreise aus anderen Ländern der Europäischen Union werben. Richtet sie ihre Tätigkeit so beispielsweise nach Spanien aus und kommt es zu Streitigkeiten mit einem Patienten oder einer Patientin mit Wohnsitz in Spanien, der/die aufgrund dieser Ausrichtung in Frankfurt behandelt wurde, könnte es zu einer Klage in Spanien kommen.
„Nicht ausreichend ist dagegen, dass einfach nur die Sprache des Landes gesprochen wird, in dem der Patient bzw. die Patientin wohnt. Das zu wissen ist wichtig für Arztpraxen in Grenznähe, weil dort ja oft die Sprache des Nachbarlandes gesprochen wird“, so der Medizinrechtsanwalt. Und auch, dass sich die Informationen zur Praxis von einem anderen Land der EU aus abrufen lassen, ist ebenso wenig ausreichend, um nachzuweisen, dass die Arztpraxis ihre Tätigkeit auf das Nachbarland ausweiten wollte.
Österreichisches Gericht muss deutsches Recht anwenden
Liegen die Voraussetzungen jedoch vor und kommt es zur Klage, hat das Folgen: Die anwaltliche Vertretung in Deutschland fungiert nur noch als Verkehrsanwalt im direkten Kontakt mit der mandatierenden Person, mandatiert aber selbst eine Kanzlei in Österreich, da sie das Prozessrecht in Österreich nicht ausreichend kennen kann. „Den Prozess selbst führen dann die Kolleginnen und Kollegen aus Österreich“, so Hartmann. Das Gericht in Österreich wendet dann verfahrensrechtlich das dortige Prozessrecht an, materiell-rechtlich muss es sich aber auf das deutsche Zivilrecht beziehen.
Die zusätzliche Beauftragung einer anwaltlichen Vertretung in Österreich und die Verhandlung im Nachbarland sind nicht nur kompliziert, sie sind auch kostenintensiv. Im konkreten Fall hat die Haftpflichtversicherung sowohl die Tätigkeit des Anwaltes in Deutschland als auch die der Kanzlei in Österreich übernommen. Nach Österreich reisen muss der betroffene Arzt aber, wenn er vom dortigen Gericht geladen wird.
Medical-Tribune-Bericht