Glaukom-IGeL Augenarztverband gewinnt jahrelangen Rechtsstreit
Wer älter als 40 ist, kann dem Angebot einer Glaukom-Früherkennung in einer Augenarztpraxis kaum entgehen. Das Screening geht auf eine Empfehlung des Berufsverbandes der Augenärzte (BVA) zurück, der auch ein Formular für die Selbstzahlerleistung entwickelt hat und für die Praxen bereitstellt. Denn die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Untersuchungskosten nur bei einem begründeten Verdacht auf Grünen Star oder bestimmten Erkrankungsrisiken.
Laut IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes des GKV-Spitzenverbandes berechnen Augenärzte für die private Vorsorge samt Beratung 10 bis 22 Euro, in Kombination mit einer Augenspiegelung 20 und 40 Euro. In beiden Fällen bewertet der IGeL-Monitor die Untersuchung als „tendenziell negativ“, da – nach Auswertung der Studienlage – ihr Schaden geringfügig schwerer als ihr Nutzen wiege.
Beschwerden von verunsicherten Patienten
Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ging gegen das Formular des BVA zum Glaukom-Check juristisch vor. Als unzulässige Tatsachenbehauptung bewertete sie die Aussage „Ich habe die Patienteninformation zur Früherkennung des Grünen Stars (Glaukom) gelesen und wurde darüber aufgeklärt, dass trotz des Fehlens typischer Beschwerden eine Früherkennungsuntersuchung ärztlich geboten ist“. Zudem kritisierte sie, dass die Versicherten ankreuzen sollen, ob sie ein Glaukom-Screening wünschen oder nicht, und dass sie dies durch ihre Unterschrift zu dokumentieren haben.
Dieses Verlangen setze Verbraucher unter Druck, die IGeL anzunehmen, meint die Verbraucherzentrale. Sie verweist auf Beschwerden von verunsicherten Patienten. Auf ihrer Webseite igel-aerger.de heißt es nach wie vor: „Sofern Sie sich gegen eine Glaukom-Früherkennung entscheiden, müssen Sie den Verzicht gegenüber dem Augenarzt nicht schriftlich bestätigen und auch keine Nachteile bei einer möglichen späteren Diagnose befürchten.“
Die Verbraucherschützer beantragten, den BVA zu verurteilen, es zu unterlassen, seinen Mitgliedern die Verwendung der strittigen Klausel zu empfehlen. Nach Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf ging der Fall zum Bundesgerichtshof. Dessen dritter Senat meint nun, dass die angegriffene Klausel nicht von den Rechtsvorschriften abweicht. Sie diene der Dokumentation der erfolgten Aufklärung über das Risiko eines symptomlosen Glaukoms und der Entscheidung des Patienten, ob er die angeratene Untersuchung vornehmen lassen möchte. Sie unterliege keiner Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen.
Der BVA-Vorsitzende Dr. Peter Heinz freut sich über diese höchstrichterliche Bestätigung und hofft, „dass dies den andauernden Diffamierungen ein Ende setzt“. Dr. Heinz: „Dies wird uns helfen, Verunsicherung bei Patienten gegenüber der Vorsorgeuntersuchung abzubauen und stärkt unseren Kampf gegen die tückische Glaukomerkrankung.“ 923.000 Menschen in Deutschland seien vom Grünen Star betroffen.
AGB-rechtsfreier Raum für Patientenformulare
Die Verbraucherzentrale findet die Entscheidung des BGH „mehr als bedauerlich“. Medizinische Laien könnten nicht im Wartezimmer die Notwendigkeit einer Behandlung („ärztlich geboten“) bestätigen, zumal wenn diese bei Fehlen entsprechender Symptome aus wissenschaftlicher Sicht zumindest „sehr fraglich“ sei. In einer Stellungnahme schreibt sie: „Auch wenn die Urteilsbegründung noch abzuwarten bleibt, sehen wir aufgrund dieses Urteils das große Risiko eines AGB-rechtsfreien Raumes im Bereich der Patientenformulare. Es ist nicht hinnehmbar, dass uns durch die Einschränkung des Anwendungsbereichs der AGB-Kontrolle jetzt die Instrumente genommen werden, wenigstens gegen besonders eklatante Verstöße einzuschreiten.“
Quelle: BGH-Urteil vom 2.9.2021, Az.: III ZR 63/20
Medical-Tribune-Bericht