Serie „Green Diabetes“ Industrie sieht Produktion, Verpackung und Transport als die größten Hebel
Plastikverpackungen, Einweg-Insulinpens, Setzhilfen für CGM-Sensoren, Pumpenzubehör und Kartonagen – spricht man Menschen mit Diabetes und Diabetolog*innen auf das Thema Nachhaltigkeit an, denken die meisten zuallererst an den Diabetesmüll, der im Zusammenhang mit der Therapie in den Praxen und zu Hause bei Menschen mit Diabetes entsteht. Ihr Vertrauen in die Diabetesindustrie, an diesen vermeidbaren Müllbergen etwas zu ändern, ist allerdings nicht besonders groß (siehe dz 4 und 7-8/2022). In vereinzelten Recycling- und Rücknahmeaktionen sehen sie eher „Feigenblattaktivitäten” denn ernsthaftes Bemühen um Nachhaltigkeit.
Wie wirksam sind Nachhaltigkeitsstrategien?
Tatsächlich lesen sich die Antworten der Unternehmen auf einen Fragenkatalog zu den Themen Müllvermeidung, ökologischer Fußabdruck und Nachhaltigkeit in weiten Strecken eher blumig-unkonkret: „Wir sind uns bewusst, dass der Kampf gegen den Klimawandel und der Schutz unseres Planeten eine Herkulesaufgabe ist. Jeder ist aufgerufen, seinen Teil dazu beizutragen. Als global tätiges Pharmaunternehmen setzen wir alles daran, unserer Verpflichtung so gut wie möglich gerecht zu werden“, heißt es da, oder: „Als einer der führenden Hersteller für Diabeteslösungen und -produkte ist es uns ein großes Anliegen, kontinuierlich unsere Produkte und Betriebsabläufe zu verbessern und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten.“ Man verweist bei Nachfragen auf Nachhaltigkeitsberichte, Umweltstrategien und Zertifikate zur Gemeinwohlbilanz.
Derweil bewerben dieselben Unternehmen weiterhin vorrangig Einwegpens für Insuline und andere injizierbare Diabetesmedikamente, anstelle die Aufmerksamkeit auf umweltfreundlichere Mehrwegpens zu lenken. Die bislang initiierten Recyclingprojekte für Einwegpens erscheinen eher als kosmetische Maßnahmen, nicht als wirksame Nachhaltigkeitsstrategien. In Blutzuckermessgeräten, Insulinpumpen und Sensoren kommen unverändert fast nur Batterien statt wiederaufladbarer Akkus zum Einsatz, Setzhilfen für CGM-Sensoren sind Einwegprodukte. Dabei wäre nach Einschätzung von Diabetolog*innen und Menschen mit Diabetes mit ein bisschen gutem Willen an vielen Stellen der Einsatz langlebigerer Produkte möglich.
Dennoch wäre es unfair, der Industrie pauschal bloßes ‚Greenwashing‘ vorzuwerfen. Denn viele ihrer Nachhaltigkeitsaktivitäten finden im Hintergrund statt und sind den einzelnen Produkten nicht unmittelbar anzumerken. So wird von Veränderungen beim Verpackungs- und Produktdesign berichtet, dank derer sich Paletten effizienter bepacken lassen. Das wiederum verringert die Umweltbelastung durch Logistik und Transport. Hierzu kann auch der Verzicht auf Lieferungen via Luftfracht beitragen – etliche der weltweit operierenden Firmen favorisieren mittlerweile den Seeweg für den Transport von Rohstoffen, Komponenten oder fertigen Produkten.
Spielraum bei Produktion, Verpackung und Transport
Auch ein veränderter Umgang mit Dienstreisen – angestoßen durch die Kontaktbeschränkungen während der Coronapandemie – schlägt sich in der Klimabilanz der Industrie nieder. Gleiches gilt für Anstrengungen für Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung in den Produktionsprozessen – etwa durch die Verwendung sortenreiner, weniger umweltbelastender Kunststoffe, die Nutzung regenerativer Energien in den Produktionsstätten oder die lokale bzw. regionale Beschaffung von Rohstoffen und Komponenten.
Nachhaltigkeit: Was die Industrie aktuell unternimmt und plant
Folgende Beispiele illustrieren das breite Spektrum von Schritten, die Unternehmen der Diabetesindustrie für eine bessere Klimabilanz gehen.*
- Beim Dexcom G7 wurde die Plastikmenge beim Applikator um 20 % verringert, es entsteht 56 % weniger Verpackungsmüll und der Sensor ist um 60 % kleiner. (Dexcom)
- Der Produktionsstandort des Freestyle Libre 3 im britischen Witley entsorgt keinerlei Abfall auf Deponien, Abfälle werden recycelt, wiederverwendet, kompostiert oder thermisch verwertet. (Abbott)
- Seit 2020 werden alle Produktionsstätten weltweit zu 100 % mit Sonnen-, Wind- und Wasserkraft betrieben, Ziel ist die CO2-Neutralität bis 2030. In Deutschland soll die Dienstwagenflotte bis 2025 auf E-Fahrzeuge umgestellt werden. (Novo Nordisk)
- Durch das Verbrennen gebrauchter Pods, deren Batterien keine Schwermetalle wie z.B. Quecksilber enthalten, wird Strom erzeugt. (Insulet)
- Es wurde eine technische Produktionsplattform für Blutzuckermessstreifen mit weniger Produktionskomponenten eingeführt. Das reduziert den ökologischen Fußabdruck um 60 %. (Roche)
- Der CO2-Preis wird auf 100 Euro pro Tonne CO2-Emissionen festgelegt. Das Geld wird für Investitionen verwendet, die CO2-arme Technologien und Lösungen stärken. (Boehringer Ingelheim)
- Die MiniMed 700-Serie wird schon für künftige Software-Upgrades vorbereitet, damit neueste Pumpenfunktionen auch ohne den Austausch der physischen Pumpen verfügbar sind. (Medtronic)
- Es gibt seit 2021 in der Logistik ein Projekt zum Recycling von knapp 200.000 Datenloggern – das sind kleine Einweggeräte mit Temperatursensoren, die die Qualität der pharmazeutischen Produkte sicherstellen. (Lilly)
- Durch schlankere Contour Messgeräte-Sets werden 23 Tonnen Plastik und 353 Tonnen Papier eingespart. (Ascensia)
*nach Angaben der Unternehmen