Arzneimittelengpässe Ist „Made in Europe“ die Lösung?
„Wir dürfen nicht abhängig sein von Ländern, die unsere Werte nicht teilen.“ An diese Worte von Außenministerin Annalena Baerbock erinnerte sich Bork Bretthauer, Geschäftsführer des Branchenverbandes Pro Generika, beim Online-Gespräch über die „Gefährliche Abhängigkeit von China: Wie sicher ist unsere Arzneimittelversorgung?“.
Fakt sei allerdings, so Bretthauer, dass Deutschland in hohem Maße abhängig sei und sogar an Stellen, an denen es vielleicht sogar lebensgefährlich werden könnte. Als Beispiel führte er Engpasse bei Antibiotika an, „eine der wichtigsten Arzneimittelgruppen überhaupt“. Man hänge de facto am Tropf von China. Dort stünden die größten Produktionskapazitäten der Welt. Und auch wichtige Ausgangsstoffe kommen aus der Volksrepublik.
„Die Politik kennt das Problem seit Jahren“, sagte Bretthauer. Habe sich irgendetwas geändert? Nein. Es sei keine Maßnahme ergriffen worden, obgleich Studien die hohe Abhängigkeit zeigten. Müsse man das nicht im Rahmen der nationalen Sicherheitsstrategie diskutieren?
Dr. Tim Rühlig, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm Technologie und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, bestätigte signifikante Abhängigkeiten. Diese würden aber zum Teil auch überschätzt. Die Abhängigkeiten von China machten, auf die Wertschöpfung geschaut, bei Im- und Exporten aktuell 2–3 % aus.
Die geopolitischen Risiken sind massiv gewachsen
Geschätzt eine Million Arbeitsplätze in Deutschland hingen unmittelbar am wirtschaftlichen Austausch mit China. Das sei nicht Nichts, aber auch nicht so viel, wie in der allgemeinen Diskussion manchmal gesagt werde. Der Teufel liege im Detail, nämlich da, wo an strategischen Punkten Abhängigkeit zur Verwundbarkeit führe. Die Pharmabranche sei eine solche Branche, wo es kritische Abhängigkeiten gebe, so der Chinaforscher. Starke Abhängigkeiten sieht er bei Rohstoffen, kritischen Mineralien, in der mikroelektronischen Fertigung und auch bei digitaltechnologischen Innovationen: „Das alles muss schon Sorge machen.“ Die geopolitischen und wirtschaftspolitischen Risiken seien massiv gewachsen. Einen militärischen Konflikt um Taiwan stellte Dr. Rühlig als gravierendstes, nicht unwahrscheinliches Szenario dar. Dennoch: Man müsse sich nicht gänzlich von China verabschieden, in kritischen Bereichen sollte aber doch gehandelt werden.
Habeck interessiert sich für die Gesundheitswirtschaft
Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck hat einen „Round Table Gesundheitswirtschaft“ ins Leben gerufen. Das Ministerium tauscht sich mit Vertreter:innen der industriellen Gesundheitswirtschaft zur Finanzierbarkeit der Versorgung und zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen aus. Auf der Agenda bis Sommer 2023 stehen neben der Verbesserung der Standortbedingungen für Forschung, Entwicklung und Produktion auch das Stärken von Lieferketten, der Schutz geistigen Eigentums als Voraussetzung für Innovation sowie der Zugang und die Nutzung von Gesundheitsdaten. Die Verbände der Pharmaindustrie begrüßen die Initiative.
Zunehmend lauter werden Stimmen, die ein „Made in EU“, also die Rückführung globalisierter Arzneimittelproduktion in die Europäische Union, fordern. Aber würde die Rückverlagerung das Problem der Engpässe wirklich lösen? Dieser Frage ging schon 2017 ein von Pro Generika beauftragtes Gutachten am Beispiel der Antibiotika-Versorgung nach. Zumindest eine partielle Rückverlagerung bzw. ein Teilneuaufbau von Intermediate- und Wirkstoff-Produktionskapazitäten wurde als mögliche Gegenmaßnahme zu Lieferengpässen identifiziert.
„Hauptsache-billig-Prinzip“ führt zwangsläufig nach Asien
Allerdings scheitere dies an hohen Produktions- und Investitionskosten sowie einem geringen Preisniveau, hieß es damals. Heute zeigt sich sogar ein noch verschärftes Bild: Die durch die Energiekrise erhöhten Kosten bei gleichzeitig aufgrund von Rabattvereinbarungen auf niedrigem Niveau verharrenden GKV-Erstattungsbeträge machen nicht nur die Rückverlagerung von Produktionskapazitäten schwierig, sie erschweren auch den Verbleib im europäischen Raum. Das zeigt das Beispiel der in Not geratenen letzten europäischen Penicillinproduktion im österreichischen Kundl.
„Wenn ein Frachter im Suezkanal steckenbleibt oder wir nicht aus dem Hafen von Shanghai rauskommen, dann führt das zu Verzögerungen in der Lieferkette“, sagt Peter Stenico, Vorstandschef von Pro Generika. Bedrohlich findet er Ausfälle bei volumenträchtigen Produkten, bei Blutdrucksenkern und Antibiotika, wo die Abhängigkeit sehr groß sei. Bei hochkomplexen Produkten, etwa Biosimilars, da sei man dagegen – noch – nicht von China abhängig. Auch er mahnt deshalb, im Detail zu schauen.
Stenico sieht als eine Ursache für die aktuellen Probleme das „Hauptsache-billig-Prinzip“. Das befeuere die Abhängigkeit von Asien, denn nirgendwo könne so günstig produziert werden wie dort.
Dr. Kai Rossen, Vorstand und Chief Scientific Officer des Unternehmens Euroapi, verweist auf eine immer noch beträchtliche Wirkstoffproduktion in Europa. Diese sei ausbaufähig. Schließlich seien ja auch die Originale nicht in Asien hergestellt worden. Die Lage sei also nicht hoffnungslos: „Die Technologie ist hier, das Wissen ist hier, die Anlagen sind da und im Prinzip ist das Preisdifferenzial zwischen dem, was ,Made in Europe‘ ist, und dem, was in China hergestellt wird, häufig extrem gering.“
Er sieht das Problem darin, dass die Gesundheitssysteme in Europa, vor allem in Deutschland, darauf abzielen, dass derjenige mit dem günstigsten Preis zum Zuge kommt: „Entweder man ist der Günstigste oder man ist raus.“ Gesundheit müsse wieder etwas wert sein. Nur dann könne man diesem Kreislauf entkommen. Die Politik müsse „genau jetzt aktiv werden, weil die steigenden Energiepreise europäische Werke noch weiter in Wettbewerbsnachteile gegenüber asiatischen geraten lassen“, mahnt Stenico.
Medical-Tribune-Bericht