Knast für Leichenfilmer: Politik und Polizei wollen unverschämte Schaulust eindämmen
Es ist alltägliches Geschehen bei Unfällen: Unbeteiligte Autofahrer fahren langsam, um zu „gaffen“, aber auch, um zu fotografieren oder zu filmen. Das behindert nicht selten den Einsatz der Helfer und riskiert das Leben der Unfallopfer.
Dabei kann dieses Vorgehen erhebliche Strafen nach sich ziehen. Wer eine Bildaufnahme macht, welche „die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der abgebildeten Person verletzt“, macht sich strafbar (§ 201a Abs. 1 StGB). Tätern drohen bis zu zwei Jahre Haft.
Auch die unterlassene Hilfeleistung kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen (§ 323c Absatz 2 StGB). Bis zu einem Jahr im Strafvollzug kann das einbringen. Und wer durch sein Gaffen am Unfallort oder Blockieren der Rettungsgasse die Versorgung von Verunglückten erschwert, riskiert bis zu einem Jahr hinter Gittern.
Moderate Urteile
Kein schützenswertes Interesse für Aufgebahrte
Der Bundesrat schlägt in einem eigenen Gesetzentwurf vor, dass auch Bildaufnahmen von einer im Rahmen einer Trauerfeier aufgebahrten Leiche verboten werden. Dies gehe über die Regelungsintention hinaus, meinen jedoch die Bundestagsabgeordneten. Sie lehnen dies deshalb ab: Für solche Bildaufnahmen bestehe üblicherweise kein schützenswertes Interesse. Fraglich ist, warum es trotz bestehender Strafvorschriften – abgesehen von der zu schließenden Lücke in § 201a StGB – nach wie vor massenhaft Gaffer gibt, Rettungsgassen nicht gebildet oder in die falsche Richtung befahren, Retter beschimpft, bedroht und angegriffen werden. Und warum werden täglich unzählige Bildaufnahmen von Unfällen im Netz gepostet? Frank Tempel, Bundestagsabgeordneter der Fraktion Die Linke, versuchte bereits in der Diskussion um das 2017 beschlossene „Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften“ den Ursachen auf den Grund zu gehen. Staatsanwaltschaften und Gerichten fehlten die personellen Ressourcen, um die Masse der Anzeigen zu bewältigen. Strafverfahren dieser Art würden oft auch wegen Geringfügigkeit eingestellt. Und: „Wer, bitte schön, soll denn die Strafanzeigen aufnehmen, wenn hundert Gaffer auf der Autobahn die Einsatzkräfte behindern?“ Aus Sicht Tempels ist mehr Personal und eine bessere Ausrüstung bei den Sicherheitsstrukturen erforderlich. Bis es dazu komme, werde es aber dauern, zumal dafür die Länder zuständig sind.Deutsche Polizeigewerkschaft begrüßt härtere Strafen
Dass auch Gaffer, die an Unfallstellen Bilder von Getöteten machen, künftig mit einer harten Strafe rechnen müssen, begrüßt auch Stefan Pfeiffer, Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft, Kommission Verkehr. Es sei richtig, ein solch schäbiges Verhalten künftig ahnden zu können. Pfeiffer ist jener Autobahnpolizist, der im Mai dieses Jahres medial bekannt wurde. Er hatte bei Rettungsarbeiten nach einem tödlichen Unfall filmende Gaffer aufgefordert, auszusteigen und sich die Toten anzusehen. „Wollen Sie die Toten sehen? Nein? Warum machen Sie dann Fotos? Schämen Sie sich!“Nach tödlichem Unfall auf A6: Polizist macht Schocktherapie und führt Gaffer zur Leiche
Quelle: YouTube/BR24
Jeder, der filmt, kann im nächsten Moment Opfer sein
Die gespaltene Meinung der Menschen zum Thema verdeutlicht der Kommentar zum Artikel über Pfeiffer im Magazin „Spiegel“. Hier heißt es, alle wichtigen Lebensmomente sollten für die Nachwelt fotografisch festgehalten werden. Vielleicht würde es auch mehr Rücksicht im Straßenverkehr geben, wenn die Presse nicht in ihrer Gesamtheit Bilder von Unfallopfern zurückhalten würde. Die Deutsche Polizeigewerkschaft versucht inzwischen, mit einem sog. Aufkleber-Statement an das Bewusstsein der Menschen zu appellieren. Seit Juli gibt es den Autoaufkleber „Gaffer – Shame On You!“. „Wer eben noch im Vorbeifahren eine Unfallstelle filmt, kann schon ein paar Kilometer weiter bei einem Verkehrsunfall ungewollt selbst zum ,Filmstar‘ werden“, mahnt der bayerische Landesvorsitzende Rainer Nachtigall.Medical-Tribune-Bericht