Krankenhauspatienten ohne richterliche Anordnung fixieren?
Passanten war der schlechte Zustand einer 40-Jährigen auf dem Bahnhofsvorplatz aufgefallen. Der herbeigerufene Notarzt stellte Dehydrierung nach Drogenkonsum und drohendes Organversagen fest und wies die Frau in ein Krankenhaus ein. Dort wurde sie auf der Intensivstation aufgenommen, wo nach kurzer Zeit weitere psychische Beeinträchtigungen sichtbar wurden. Sie begann zu randalieren. Der Arzt im Nachtdienst ordnete eine Fünf-Punkt-Fixierung an.
Nach 30 Minuten Fixierung sah sich der Arzt trotz unverändertem Verhalten der Patientin genötigt, diese loszubinden: Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24.7.2018 (Az.: 2 BvR 309/15) dürfe man keinen Patienten ohne richterlichen Beschluss länger als eine halbe Stunde fixieren. Auch nicht nachts.
Die Patientin war davon wenig beeindruckt und setzte ihr eskalierendes Verhalten fort. In seiner Not rief der Arzt die Polizei an. Auch die Beamten wussten nicht wirklich, wie ohne richterliche Legitimation zu handeln ist. Erst Stunden später, morgens um halb acht, gelang es den Polizeibeamten, einen Richter zu erreichen, der den Transfer der Patientin an ihren Wohnort und eine dortige Klinik anordnete.
Wo lag das Problem? Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass für Sieben- oder Fünf-Punkt-Fixierungen von Patienten, die sich in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung befinden, eine richterliche Entscheidung einzuholen ist, wenn die Maßnahme voraussichtlich länger als 30 Minuten dauert. Den zuständigen Gerichtsorganisationen gab das Verfassungsgericht auf, täglich von 6 bis 21 Uhr die Erreichbarkeit eines Richters zu gewährleisten. Das gilt allerdings nicht für somatische Krankenhäuser, die müssen sich auf die „üblichen Geschäftszeiten“ beschränken. Und auch ein für „unterbringungsähnliche Maßnahmen“ bestellter Betreuer muss keine Rufbereitschaft außerhalb üblicher Geschäftszeiten anbieten.
Abwenden der Gefahrenlage begründet Fortsetzung
Was heißt das für Zeiträume außerhalb des richterlichen Bereitschaftsdiensts? Diese Frage wurde auch Johannes Gleichmann, Syndikusrechtsanwalt am St. Josefs-Hospital Wiesbaden – dem Krankenhaus, in dem sich der vereinfacht dargestellte Fall abspielte – gestellt.
Im konkreten Fall sei eindeutig, dass eine über 30 Minuten hinausgehende Fixierung zur Abwendung der Gefahrenlage gemäß § 34 Strafgesetzbuch (rechtfertigender Notstand) gerechtfertigt war, erklärt der Jurist. Hält der Arzt die Maßnahme unverändert für notwendig, darf er sie weiter anordnen. Wichtig sei jedoch, eine 1:1-Betreuung sicherzustellen. Ein Monitoring mit Vitalparametern sei nicht ausreichend.
Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, spielt zudem die Dokumentation der exakten medizinischen Umstände eine entscheidende Rolle, unterstreicht Gleichmann. Die Gründe für die Fortsetzung der Fixierung müssten nachvollziehbar und plausibel sein. Denn rechtlich relevant ist allein, ob der Arzt aus seiner situativen Sicht heraus so handeln durfte – selbst wenn sich im Nachhinein andere Umstände herausstellen sollten, die eventuell zu einer anderen Entscheidung Anlass gegeben hätten.
Hinzuholen der Polizei kann zweckdienlich sein
In Eilfällen geht es also auch ohne richterliche Anordnung. Allerdings muss diese dann schnellstmöglich nachträglich eingeholt werden. Es sei denn, der Patient hat sich beruhigt und es zeichnet sich ab, dass keine Fixierung mehr nötig ist. Dann ist der Arzt gehalten, den Patienten zu informieren, dass er die Rechtmäßigkeit der nächtlichen Maßnahme juristisch prüfen lassen kann.
Im Zweifelsfall, so der Jurist, sei es bei akuten Gefährdungslagen empfehlenswert, als behandelnder Arzt die Polizei hinzuzurufen. Die Gefahrenabwehr gehöre zu ihren speziellen Aufgaben. Die Beamten wären verpflichtet, andere Personen zu schützen und könnten als Zeugen dienen. Und sie könnten den Patienten in eine psychiatrische Einrichtung verbringen, wo mittlerweile in den meisten Bundesländern ein Psychiater über eine spontane Einweisung entscheiden kann.
Das Amtsgericht Wiesbaden, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der Fall abspielte, bestätigt, dass in solchen Situationen der rechtfertigende Notstand greifen kann. Derselbe Paragraf könne außerdem auch zum Tragen kommen, wenn ein Betreuer oder Bevollmächtigter entgegen der ärztlichen Einschätzung keine Fixierungsanordnung trifft.
Medical-Tribune-Bericht