Faktencheck Botschaften für eine gesunde Ernährung

Autor: Redaktion diabetes zeitung

v.l.: Prof. Dr. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit; Barbara Bitzer, Sprecherin von DANK und DDG-Geschäftsführerin; Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes; Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes; Oliver Huizinga, Pol. Geschäftsführer der DAG. v.l.: Prof. Dr. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit; Barbara Bitzer, Sprecherin von DANK und DDG-Geschäftsführerin; Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes; Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes; Oliver Huizinga, Pol. Geschäftsführer der DAG. © DDG / Dirk Deckbar

Erwartungsgemäß bläst Bundesernährungsminister Cem ­Özdemir der Wind der Werbe- und Lebensmittelindustrie entgegen. Für sein Bemühen, Kinder und Jugendliche künftig gesetzlich vor der Werbung für Ungesundes zu schützen, erntet er Widerspruch. Doch dieser lässt sich entkräften. Hier fünf Beispiele.

Die „gut belegten Einwände“, die der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) – und ähnlich der Lebensmittelverband – gegen die Pläne des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) anführt, erinnern Barbara Bitzer, Geschäftsführerin der DDG und Sprecherin der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten (DANK), an die Zeiten, als die Tabakindustrie gegen Auflagen zu Felde zog. Es werden Zweifel an Zusammenhängen und der Wirksamkeit politischer Maßnahmen geschürt. Vor finanziellen Nachteilen für Staat und Dritte wird gewarnt, wenn Verbote Freiwilligkeit ablösen. 

Minister Özdemir und die Ampel sollen sich nicht durch solche Gesänge vom rechten Weg abbringen lassen. In diesem Sinne haben sich Vertreter*innen von GKV, Verbraucherschutz und medizinischen Fachgesellschaften auch in der Bundespressekonferenz für die Gesetzespläne stark gemacht (Foto). Die Eckpunkte des BMEL besagen: Entsprechend der WHO-Kriterien sollen ungesunde Lebensmittel im Fernsehen und Internet zwischen 6 und 23 Uhr nicht mehr beworben werden dürfen. Die Außenwerbung soll ebenfalls eingeschränkt werden.

Der ZAW glaubt nicht, dass solche Maßnahmen geeignet sind, „zu einer nachhaltigen Reduktion von Übergewicht bei Kindern beizutragen“. Er wettert auf seiner Homepage gegen die „untaugliche Verbotspolitik“ und präsentiert seinen Faktencheck. Doch was ist von den Aussagen zu halten? Oliver Huizinga von DANK hat sich die Argumente angeschaut und rückt sie wieder gerade
 



ZAW: „Das WHO-Verbotsmodell ist weder ein verbreiteter noch erfolgreicher Politikansatz. In Portugal, dem einzigen Land, in dem es (modifiziert) herangezogen wird, liegt die Übergewichts- und Adipositasrate von Kindern doppelt so hoch wie in Deutschland. Ebenso ist die Lage in UK, wo knapp jedes dritte Kind betroffen ist – obwohl hier seit Jahren eine Verbotsregulierung gilt, die dem vorgestellten Ansatz des BMEL weitgehend entspricht.“

Fakt ist: 
In diesem Passus stecken mehrere Falschaussagen. Anders als behauptet, sind die Übergewichtsraten in Portugal und Großbritannien nicht doppelt so hoch wie in Deutschland. Der ZAW verkennt, dass die Methodik in den Ländern eine jeweils andere ist. Kinder, die hierzulande noch als „normalgewichtig“ gelten, gelten in Portugal oder Großbritannien zum Teil bereits als „übergewichtig“. Die Zahlen sind schlichtweg nicht vergleichbar. 

Portugal ist keinesfalls das einzige Land, in dem das WHO-Modell für Werbebeschränkungen herangezogen wird. Die Türkei, Slowenien, Österreich und Estland haben das Modell adaptiert und auch in Spanien soll es Anwendung finden. Sogar hierzulande nutzen bereits Lidl und Aldi Süd das WHO-Modell für ihre Selbstverpflichtungen.   

Die in Großbritannien geltende Regelung entspricht keinesfalls weitgehend dem BMEL-Ansatz. Zwar gibt es seit 2007 eine Beschränkung der Lebensmittelwerbung im Umfeld von Kindersendungen. Eine umfassende Uhrzeiten-Regelung und ein Verbot der Online-Werbung für Ungesundes soll in Großbritannien aber erst noch in Kraft treten. 
 



ZAW: „Werbung für Lebensmittel hat Einfluss auf die Marktanteile beworbener Produkte. Sie ist erwiesenermaßen aber nicht in der Lage, das  Ernährungsverhalten von Kindern ungünstig in Richtung Übergewicht zu beherrschen … In der Corona-Pandemie ist die Werbemenge über alle  Kanäle hinweg deutlich gesunken. Das kindliche Übergewicht hat aber nach allen  Schätzungen zugenommen.“ 

Fakt ist:
Die wissenschaftlichen Daten dazu sprechen eine klare Sprache. Die Werbung für unausgewogene Lebensmittel beeinflusst nicht nur die Markenwahl, sondern erhöht den Konsum, die Verkaufszahlen und die Präferenzen für verschiedene Produktkategorien wie Fast Food oder Softdrinks. Die Tabakindustrie hat lange Zeit versucht, mit dem gleichen Argument eine Regulierung der Tabakwerbung zu verhindern. Die US-amerikanischen Behörden kamen jedoch zu dem Schluss, dass das Argument „Werbung beeinflusst nur die Markenwahl“ nicht stichhaltig war. 
 



ZAW: „Die Gründe für kindliches Übergewicht sind tatsächlich multikausal und deshalb nicht monokausal mit Werbeverboten zu lösen. Zielführend  sind ganzheitliche Ansätze, die den gesamten Lebensstil in den Blick nehmen, die Ernährungs- und Medienkompetenz stärken und dabei der deutlich gestiegenen Bewegungsarmut von Kindern Rechnung tragen.“

Fakt ist:
Es ist weder die Position des BMEL noch die von Fachorganisationen im Bereich der Präventionspolitik, dass Werbebeschränkungen für Ungesundes die einzige zu ergreifende Maßnahme sind. Werbeschranken für Ungesundes sind aber ein wichtiger Baustein im Maßnahmenmix zur Förderung einer gesunden Ernährungsweise. Dazu besteht Konsens unter zahlreichen Fachorganisationen wie medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Forschungseinrichtungen, der WHO, Krankenkassen und des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des BMEL.

Auch im Rahmen des deutschen Food Environment Policy Index, einer Expertenbefragung nach internationalen Standards des Policy Evaluation Networks, wurde die Regulierung des an Kinder gerichteten Marketings unter die fünf wichtigsten Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährungsweise gewählt. Dass zusätzlich weitere Maßnahmen benötigt werden, steht außer Frage und ist kein Argument gegen Werbebeschränkungen.
 



ZAW:  „Die vom BMEL mitgeteilten Daten zur Werbemenge sind unzutreffend ... Tatsächlich sieht die Lage nach den Daten der AGF im Bereich TV wie  folgt aus: 98 % der Primetime-Zuschauer sind über 14 Jahre alt, unter 2 % sind zwischen 3 und 13 Jahre alt – über 365 Tage im Jahrr und alle  Fernsehsender hinweg. 2019 bis 2022 waren von den 100 Sendungen mit der höchsten Sehbeteiligung bei den 3- bis 13-Jährigen nur 27 Sendungen mit Werbung.“

Fakt ist:
Wer so argumentiert, unterschlägt die Demografie in Deutschland. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes machen Kinder unter 14 Jahren nur etwa 13 % der Bevölkerung aus. Der Kinderanteil an den Zuschauenden ist somit bei jedem Familienformat niedrig. 

Entscheidend zur Bewertung, inwiefern eine Zielgruppe in einem werblichen Umfeld erreicht wird und in großer Zahl einer Werbung ausgesetzt ist, sind Angaben zur Einschaltquote der Bezugs- bzw. Altersgruppe. Daten der AGF-Videoforschung zeigen über viele Jahre hinweg, dass zwischen 18 und 22 Uhr der größte Anteil der Zielgruppe Kinder unter 14 Jahre über Massenmedien erreicht werden kann. Zudem ist unter den bei Kindern unter 14 Jahren beliebtesten Sendungen jede dritte kein klassisches Kinderformat, sondern eine Unterhaltungsshow oder ein Fußballspiel.
 



ZAW: „Beispielsweise konsumieren 6- bis 11-jährige Mädchen und Jungen mit hohem sozioökonomischem Status im Mittel signifikant ausgewogener als die Vergleichsgruppe in sozial benachteiligten und bildungsferneren Milieus. Hier weist das gesamte Ernährungsverhalten ungünstigere Muster auf. Und die Bewegungsarmut ist besonders ausgeprägt. Werbeverbote ändern aber an den sozialen Umständen nichts.“

Fakt ist:
Natürlich wird eine Werbebeschränkung die soziale Ungleichheit nicht in Luft auflösen. Keine Einzelmaßnahme vermag das, auch keine aus der Sozialpolitik im engeren Sinne. Die soziale Ungleichheit als Argument gegen Werbeschranken ins Feld zu führen, entbehrt trotzdem jeder Logik. Maßnahmen der Verhältnisprävention wie Werbebeschränkungen zeichnet es geradezu aus, dass sie ihren Wirkungsgrad bei allen sozioökonomischen Gruppen entfalten können – im Gegensatz zur Verhaltensprävention, z.B. Ernährungsbildung. Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Familien weisen zudem ein stärker ausgeprägtes Mediennutzungsverhalten aus, sind somit in einem höheren Maß werblichen Einflüssen ausgesetzt und besonders vulnerabel. Eine Werbebeschränkung wäre daher ein Beitrag gegen die soziale und gesundheitliche Ungleichheit.