Strittige Krankschreibung Mediziner können als Zeugen vorgeladen werden
Einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zufolge kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) erschüttert werden, wenn ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis kündigt und am Tag der Kündigung eine AU ausgestellt bekommt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.
Selten ist eine solche Konstellation von Kündigung plus Krankschreibung tatsächlich nicht. Häufig wollen Arbeitnehmer damit belastenden Situationen mit dem Chef oder den Kollegen aus dem Weg gehen. Eine tagesgenaue Übereinstimmung ist aber auch nicht ganz unwahrscheinlich, da eine Kündigung in der Probezeit beispielsweise 14 Tage dauert, aber manche Krankschreibungen genau diesen Zeitraum umfassen – und eben nicht zehn oder zwölf Tage.
Bislang hat die Rechtsprechung in der ärztlichen AU-Bescheinigung ein Indiz für die Arbeitsunfähigkeit gesehen. Wollte der Arbeitgeber das Gehalt für diesen Zeitraum nicht bezahlen, musste er in einem gerichtlichen Verfahren beweisen, dass das Indiz, also die Bescheinigung, inhaltlich falsch ist. Das ist in der Regel jedoch sehr schwierig. Der Arbeitgeber konnte dann nur noch den Vorgang als Verdachtsfall dem medizinischen Dienst der Krankenkassen melden.
Im konkreten Fall entschied es das Bundesarbeitsgericht anders: Eine kaufmännische Angestellte hatte am 8. Februar 2019 ihr Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 gekündigt. Gleichzeitig legte sie ihrer Arbeitgeberin eine auf den selben Tag datierte und als Erstbescheinigung gekennzeichnete AU vor. Die Arbeitgeberin, eine Zeitarbeitsfirma, verweigerte die Gehaltsfortzahlung.
Arbeitnehmerin pochte auf ordnungsgemäße AU
Der Beweiswert der AU-Bescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung abdecke, argumentierte die Zeitarbeitsfirma. Die Beschäftigte hielt dagegen, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-out gestanden.
Dem Bundesarbeitsgericht zufolge kann der Arbeitgeber den Beweiswert einer AU-Bescheinigung erschüttern, wenn er Umstände darlegt, die „Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit“ geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen, dass er arbeitsunfähig war. Ein solcher Beweis erfolgt insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht.
Im vorliegenden Fall war die Koinzidenz der Daten der Krankschreibung und der Kündigungsfrist ausreichend, um einen ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu begründen. Die Arbeitnehmerin war aber im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit auch nach einem Hinweis des Senats nicht hinreichend konkret nachgekommen – und hat damit ihre Klage verloren.
Quelle: Pressemitteilung – Bundesarbeitsgericht; Urteil vom 8. September 2021, Az.: 5 AZR 149/21