MEZIS: Meine Fortbildung zahl' ich selbst
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Trotz mehr Transparenz- und Antikorruptionsmaßnahmen im Gesundheitswesen sind die „Unbestechlichen“ von MEZIS („Mein Essen zahl‘ ich selbst“) unzufrieden. Mit Duldung durch die Ärzteschaft werde die Fortbildung für Marketingzwecke der Hersteller genutzt, beklagte der Verein bei seiner Fachtagung in der Jugendherberge Heidelberg.
360.000 Fortbildungen
Bei den Ärztekammern werden jährlich rd. 360.000 Zertifizierungsanträge für Fortbildungen gestellt, berichtet Professor Dr. Reinhard Griebenow. Das ist doppelt so viel wie in den USA, und das für halb so viele Ärzte. Der Anteil der Präsenzveranstaltungen liege bei über 90 %. In Nordrhein sind es jährlich rund 25.000 Fortbildungen, von denen etwa 15 % gesponsert sind. Die hohe Zahl der nicht-gesponserten Fortbildungen kommt vor allem durch Schulungen in Krankenhäusern zustande. 10 bis 15 % der CME-Punkte werden allerdings mit Print- und Online-Fortbildungen erworben, so Prof. Griebenow.
„Es lässt sich durchaus ein wachsendes Problembewusstsein feststellen“, meint Vorstand und Hausarzt Dr. Niklas Schurig. „Immer mehr Kolleginnen und Kollegen sind sich darüber im Klaren, dass von der Industrie veranstaltete und finanzierte Fortbildungsmaßnahmen interessengeleitet sind und letztlich das Verordnungsverhalten beeinflussen sollen.“ Doch Veranstalter wie Teilnehmer von Seminaren und Kongressen setzten nach wie vor auf diese Art der Finanzierung. „Viele Veranstalter haben Sorge, dass Fortbildungen ohne Unterstützung der Industrie nicht zu realisieren sind oder weniger Akzeptanz bei den Ärztinnen und Ärzten finden könnten“, stellt Vorstandsmitglied Manja Dannenberg fest.
Im Sinne von MEZIS wäre es, wenn Fortbildungen, die von der Industrie unterstützt werden, nicht mehr von den Ärztekammern mit Fortbildungspunkten ausgestattet würden und so zumindest dieser Anreiz für eine Teilnahme entfallen würde. Bepunktet würden dann nur „unabhängige“ Fortbildungen.
Allerdings: Auch eine Universität oder ein Krankenhaus, die kostenlos Räume für Fortbildungen zur Verfügung stellen, verbinden damit ein Interesse, gab Dr. Hans-Michael Mühlenfeld, Vorsitzender des Instituts für hausärztliche Fortbildung des Hausärzteverbandes, bei der Podiumsdiskussion zu bedenken.
MEZIS will nun bei Ärztekammern, KVen, Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Kliniken Verbündete finden, die sich verpflichten, „ausreichend hochwertige Fortbildungen ohne finanzielle oder inhaltliche Beteiligung der Industrie“ anzubieten. Vorhandene Konzepte und Strukturen sollen gebündelt werden. Ein Leitfaden könnte u.a. Qualitätsmerkmale und Voraussetzungen definieren sowie Hinweise zu Organisation und Kalkulation geben. Eine gemeinsame Internetplattform und ein Gütesiegel für Partner des Aktionsbündnisses sind noch zu etablieren.
MEZIS hat auch einen Vorschlag für eine bundeseinheitliche CME-Zertifizierung erarbeitet. Dieser soll der Risikoabschätzung einer unerwünschten Einflussnahme dienen. Dabei geht es u.a um einen „Interessenkonflikt-Score“. Die Idee ist: Ein Referent gibt mit Blick auf die letzten fünf Jahre und die nächsten zwölf Monate an, ob er von dem Sponsor oder einem anderen Industrievertreter Zuwendungen für Forschung oder als Referent, Fortbildungsteilnehmer, Berater bzw. regelmäßiger Redner bekam/bekommen wird. Und ob er bzw. sein Ehepartner entsprechende Unternehmensanteile hält. Wer dabei nicht überwiegend „Nein“ ankreuzt, sondern eine auffällige Punktzahl erzielt, müsste mit weiteren Prüfungen (Folienabfrage, Präsenzbesuch) sowie ggf. einer Nichtzertifizierung rechnen.
Auffällig: mehr als 1000 Euro Honorar für 45 Minuten
Die abgespeckte Vorlage für diesen Vorschlag liefert ein Schema der Ärztekammer Nordrhein, das Professor Dr. Reinhard Griebenow, Mitglied der Ständigen Kommission „Ärztliche Fortbildung“ der Bundesärztekammer, in Heidelberg zeigte. Die Veranstalter von Präsenz-Fortbildungen werden von der ÄKNo angehalten, ihre Referenten eine Übersicht ausfüllen und präsentieren zu lassen. In dieser geben sie mit „Ja“ oder „Nein“ an, ob sie von dem Sponsor oder anderen Firmen/Institutionen Zuwendungen erhalten haben, ob eine bezahlte Beratertätigkeit besteht und bezüglich des Themas persönliche finanzielle Interessen vorliegen (siehe Kasten). Ein Score wird nicht ermittelt.
Die mit dem wiederholten Präsentieren dieser Folie verbundene Hoffnung ist, dass die Zuhörer künftig per „Mustererkennung“ schnell Interessenkonflikte wahrnehmen können. Das heute übliche, flüchtige Dia einer Liste mit Namen von Firmen, mit denen der Redner irgendwann irgendetwas zu tun hatte, und seine Erklärung, es bestünden keine Interessenkonflikte, leiste das nicht.
Auch die Kammern selbst tun sich schwer damit, Interessenkonflikte einzuschätzen, sagt MEZIS-Vorstand Dannenberg. Die Hausärztin arbeitet im Fortbildungsausschuss der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern mit und kennt das „zähe Ringen“, wie die Empfehlungen der Bundesärztekammer auszulegen sind, wenn es z.B. um die „Angemessenheit“ einer Zuwendung geht.
Die Kammer hat mittlerweile Schwellenwerte festgelegt. So gilt z.B. ein Referentenhonorar von bis zu 1000 Euro für eine 45-minütige Fortbildungseinheit als angemessen. Wird mehr gezahlt, fragt die Kammer nach. Ähnlich bei einem Kongress: Ab einem Sponsorenbetrag von 20.000 Euro pro Tag will die Kammer mehr dazu wissen, berichtete Dannenberg. Der Effekt: Jetzt halten die Zertifizierungsanträge genau diese Beträge ein.
Dr. Mühlenfeld warnte davor, „sich zu Tode zu prüfen“. Er betonte die Wichtigkeit, Transparenz herzustellen, also Sponsoren und Zuwendungen klar zu benennen.
Eigentlich sollten diejenigen die ärztliche Fortbildung finanzieren, denen sie letztlich zugute kommt, also die Patienten, meinte Dr. Mühlenfeld. Für seine Vermutung, dass ihm die Patienten sogar etwas in eine Fortbildungs-Sammeldose auf dem Praxistresen werfen würden, erntete er Kopfschütteln. Die Ärzte verdienten genug Geld, um sich ihre Fortbildungen leisten zu können, erwiderte Dannenberg. „Und wer einen luxuriösen Rahmen benötigt, der muss auch bereit sein, dafür mehr zu zahlen.“