Korruption im Gesundheitswesen: Der Warnschuss sitzt
Durch gepanschte Medikamente, gefälschte Rezepte und unrechtmäßig abgerechnete Leistungen sei ihr 2017 „der bislang größte Schaden durch Betrug entstanden“, stellt die KKH Kaufmännische Krankenkasse fest. Von den 3,7 Mio. Euro Schadenssumme entfallen allerdings allein 1,5 Mio. Euro auf den vor Gericht stehenden Apotheker aus Bottrop, der Krebsmedikamente gepanscht haben soll.
Laut Dina Michels, Chief Fraud Detection Officer der KKH, erhielt die Kasse im vergangenen Jahr 746 Hinweise, von denen 270 Fälle „als werthaltig“ aufgegriffen wurden. Der ermittelte Schaden von 3,7 Mio. Euro ist zwar ein Rekordwert – die gebuchten Geldeingänge bewegten sich jedoch mit knapp 500 000 Euro auf dem Niveau der Vorjahre.
Die Pflegestärkungsgesetze II und III haben regelhafte Abrechnungsprüfungen in der Pflege zum Standard gemacht – mit der Folge, dass sich laut Michels nun „bei den Krankenkassen die Prüfberichte des MDK türmen“. Dementsprechend führt die „Ambulante Pflege“ mit 110 neu aufgedeckten Fällen das Top-Five-Ranking der KKH-Ermittler an.
Im großen Stil gefälschte Rezepte abgerechnet
Geordnet nach Schadenssummen sind es allerdings Betrügereien mit Arzneien (2,3 Mio. Euro), die am heftigsten zu Buche schlagen. So erwartet die Kasse – neben dem Fall des Bottroper Apothekers – einen Schaden im zweistelligen Millionenbereich, weil in Berlin „diverse Apotheker, Ärzte und weitere Personen im ganz großen Stil mit gefälschten Rezepten“ handelten.
Viele Beispiele für betrügerische Fälschungen führt die Kasse bei Pflegediensten und Physiotherapeuten an. Zudem forderten einige Arbeitgeber Leistungen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz und Krankengeld an, obwohl ihre Mitarbeiter nicht krank waren oder nur Scheinarbeitsverträge bestanden.
Auf Mediziner verweist die Kasse eher selten. In Nordrhein-Westfalen z.B. rechnete eine Ärztin nicht erbrachte Impfleistungen (Sprechstundenbedarf) im Wert von 366 000 Euro ab. Der Schaden wird durch direkte Zahlung von 300 000 Euro sowie dem Einbehalt des Rests bei der KV beglichen.
Einem Klinikum in Niedersachsen wirft die Kasse vor, einen Schaden von über 39 000 Euro verursacht zu haben, weil es Leistungen eines Arztes für sich abrechnete, obwohl er diese ambulant in seiner eigenen Arztpraxis erbracht habe. „Große Erfolge bei der Strafverfolgung von Korruption“ gab es allerdings nicht, stellt Michels fest.
„Unser großes Problem ist, dass wir die korruptiven Elemente der Taten in der Regel nicht nachweisen können, also zum Beispiel die Unrechtsabrede oder wirtschaftliche Vorteile.“ Zum Belegen einer unzulässigen Zusammenarbeit zwischen niedergelassenem Arzt und nicht-ärztlichen Leistungserbringern stützt sich die Kasse auf Abrechnungsdaten und Versichertenbefragungen.
Vertragsbeziehungen wurden geprüft und angepasst
Bei der ersten Strafanzeige der KKH wegen Korruption konnten die Ermittlungsbehörden nichts Unrechtes feststellen. Weil die Kasse intervenierte, werden die Ermittlungen nun von spezialisierten Staatsanwälten fortgeführt, berichtete Michels.
Doch selbst wenn „Korruption nicht nachgewiesen werden kann, ist noch lange nicht Feierabend – denn dann geht es mit Betrug weiter, und der ist bei diesen Sachverhalten in der Regel leicht nachzuweisen“. Die KKH-Mitarbeiterin verweist auf zwei „bahnbrechende“ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs 2017.
Der Strafrechtler Professor Dr. Michael Kubiciel, Universität Augsburg, bewertet die neuen Straftatbestände „Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen“ (§§ 299a, 299b StGB) durchaus als Erfolg. Zwar kam es zu „vergleichsweise wenig Ermittlungsverfahren“, die positive Wirkung bestehe aber darin, dass viele Ärzte, Krankenhäuser und Medizinproduktehersteller ihre Vertragsbeziehungen auf die Vereinbarkeit mit dem Recht überprüft und ggf. angepasst hätten. Die weitaus meisten Verfahren gegen Ärzte und andere Heilberufler würden zudem nicht wegen eines Korruptionsverdachts, sondern wegen des Vorwurfs des Abrechnungsbetrugs geführt. Als mangelhaft sieht Prof. Kubiciel die Personalausstattung und das Fachwissen bei den Strafverfolgungsbehörden an.