Nationale Dekade gegen Krebs Neue Schwerpunkte für die zweite Halbzeit
Ziel der Dekade gegen den Krebs (2019–2029) ist, die weitere Erforschung von Prävention, Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen voranzutreiben. Patient:innen sollen schneller von Forschungsergebnissen profitieren. 16 Partner aus Krebsforschung, Forschungsförderung, Gesundheitswesen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben sich dafür zusammengefunden. Ein Strategiekreis, dem Vertreter:innen aus Wissenschaft, Praxis, Selbsthilfe, Krankenkassen und Industrie angehören, schafft die Voraussetzungen.
Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt mittlerweile bei 65 %
„Wir alle hier dürfen stolz zurückschauen, aber auch voller Tatendrang nach vorn“, bilanzierte Ministerin Bettina Stark-Watzinger in der Veranstaltung „Future X Change – Fünf Jahre Nationale Dekade gegen Krebs“ die bisherige Arbeit. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und sie würden sich gern weiter mit ins Zeug legen, um die Krebsforschung in Deutschland auf das nächste Level zu heben, mit innovativen Förderrichtlinien für neue Forschungsansätze. Man wolle Krebs besser verstehen, um bestmögliche Therapien zu finden. „Zum Ende der Dekade soll die Krankheit bei drei von vier Krebspatient:innen geheilt oder langfristig beherrschbar sein“, so die Ministerin. Die Halbzeitbilanz mache Mut.
Elf neue große Förderrichtlinien wurden seit Dekadenstart aufgesetzt und mit über 150 Millionen Euro Forschungsprojekte gefördert. Damit sollen passgenauere Krebstherapien geschaffen, rechtzeitige und treffsichere Diagnostikverfahren entwickelt und die Krebsprävention verbessert werden. „Zudem haben wir das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) um vier Standorte erweitert, die im Endausbau insgesamt mit bis zu 100 Millionen Euro jährlich gefördert werden“, berichtete Stark-Watzinger.
Wie Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, erklärt, soll über die NCT Spitzenforschung in die Fläche gebracht werden – zu den Patientinnen und Patienten „ganz praxisnah“. Ziel sei exzellente Forschung, verzahnt, eng unter einem Dach. Was heute Innovation sei, könne morgen Heilung bedeuten für den einen oder anderen, so Brandenburg: „Wir haben Betroffene auf allen Ebenen eingebunden, sie sind Forschungspartner wie nie zuvor. Das ist uns extrem wichtig!“
Die Prävention sei bisher durchaus etwas vernachlässigt worden. Jetzt sei das nicht mehr so, auch dank der Zusammenarbeit mit der Deutschen Krebshilfe, sagt Brandenburg: „Und wir fühlen uns bereit, Challenges anzugehen, die großen ungelösten Fragen zu analysieren. Wir können und müssen an dieser Stelle noch so viel lernen, denn Forschung ist und bleibt das mächtigste Werkzeug gegen Krebs.“
In der zweiten Hälfte der Dekade wollen die Player die Forschung und Versorgung enger vernetzen, Modellregionen auf den Weg bringen. Und es wird ein neuer Fokus auf das Thema Survivorship gelegt, um Langzeit- und Spätfolgen früher zu erkennen und zielgerichtet zu behandeln. Als Staat werde man versuchen, die Rahmenbedingungen zu schaffen, so der Staatssekretär.
Prof. Dr. Michael Baumann, Ko-Vorsitzender des Strategiekreises der Nationalen Dekade gegen Krebs, lobt die gute Zusammenarbeit zwischen den Playern in der Dekade. Man sitze gemeinsam am Tisch und berate, wie man zu einem leistungsfähigen System komme, um für die nächsten Jahrzehnte das Thema weiter nach vorne zu bringen. Das klappe wunderbar – und das wäre keine Trivialität angesichts der unterschiedlichen Positionen.
„Wir haben in Deutschland 65 % Fünf-Jahres-Überlebende nach Krebs, eine halbe Million Mitbürger, die jedes Jahr an Krebs erkranken und fünf Millionen Mitbürger, die Krebs überleben.“ Gebraucht würden Strukturen, die Forschung hierzu betrieben. Gebraucht würden aber auch Hausärzte. Denn die Therapien könnten Nebenwirkungen haben, von denen man heute noch gar nichts ahne. Man brauche also beide Strukturen langfristig.
Patientenbeteiligung in der Forschung institutionell sicherzustellen, ist laut Baumann ebenfalls wichtig. In den USA gebe es seit 30 Jahren solche Initiativen, in Skandinavien und England auch schon deutlich eher. Die warnende Stimme der Patientinnen und Patienten werde gebraucht und schon bei Studien müsse Survivorship mitgedacht werden. Die Dekade habe das übernommen und es werde über Krebs hinaus Standard werden, betont Prof. Baumann.
Daten zu drohenden Spätfolgen notwendig
Als Langzeitüberlebender sei man verloren zwischen verschiedenen Fachdisziplinen wie Radiologie, Hämatologie, Onkologie, Neurologie, beschreibt Jan Geissler vom Think Tank Patvocates die Situation. Er selbst habe wegen möglicher Nachteile acht Jahre lang im Beruf seine Erkrankung verschwiegen: „Und deswegen bin ich so glücklich, dass das Thema (Survivorship) hier in der Dekade jetzt eine Rolle spielt.“
Der Patientenvertreter lobte auch ausdrücklich die Nationalen Centren für Tumorerkrankungen. Die Überweisung an Fachärzte würde durch Hausärzte oft nicht geschehen, weil man als Patient nicht ernst genommen werde mit Erkrankungen und psychosozialen Belastungen. In den Zentren würden Langzeitüberlebende jedoch ernst genommen.
„Patienten wurden lange Zeit wirklich im Kreis geschickt. Sie wussten gar nicht, wo sie zuerst anfangen sollten“, bestätigt Prof. Dr. Angelika Eggert, Direktorin Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Aussagen. Lob gab es auch von ihr für die Zentrenbildung. Sie forderte mehr Forschung dazu, bei welchen Patient:innen welche Spätfolgen der Therapie drohen, um die Behandlung anpassen zu können. Es gebe Ansätze: „Aber wir versuchen das nicht systematisch.“
Die Spezialistin berichtet über etwa 40.000 Überlebende kindlicher Krebserkrankungen in Deutschland. Zwei Drittel von ihnen litten an einer langfristigen Nebenwirkung. Das könne im Rahmen der Fertilität sein, aber im Prinzip könnte es alle Organsysteme betreffen. „Und da müssen wir einfach besser werden in den Nebenwirkungen unserer Therapien, aber auch in der Survivorship.“
Menschen mit Veranlagung für Risiken identifizieren
Ein Problem seien fehlende Anlaufstellen für Patienten mit komplexen Folgen. Es gebe bereits Survivorship-Kliniken, aber eine nachhaltige Finanzierung sowie Hilfen für Patienten bis zum 18. Lebensjahr sind nicht regelhaft gesichert. Mit den Zentren wäre das Auffangen praktisch gekommen, lobt Prof. Eggert: „Aber wir sind auch bei vielen Dingen sehr am Anfang.“
Zu wünschen sei, molekulare Instrumente nicht nur für die Akuttherapie zu entwickeln, sondern auch, um abzuschätzen, bei welchen Patienten welche Spätfolgen der Therapie drohten. Schon in der Primärprävention sollten Menschen mit einer genetischen Veranlagung für Risiken identifiziert werden. Benötigt würden dafür jedoch noch viel mehr Daten. Liquid Biopsie sei ein Stichwort.
Jan Geißler geht davon aus, dass sich über die Versorgung in den Tumorzentren viele solcher Daten sammeln ließen. Patienten würden sie auch spenden.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht