Überlebt dank INFORM Zahlreiche Krankenkassen zahlen Kindern mit Krebs eine umfangreiche molekulare Diagnostik
Prof. Dr. Olaf Witt ist Direktor am Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) und Leiter des INFORM-Programms. In Deutschland treten jährlich etwa 2.000 neue Krebsfälle bei Kindern und Jugendlichen auf, berichtet er. Krebs sei die zweithäufigste Todesursache unter 18 Jahren. 20 % der an Krebs erkrankten Kinder würden sterben, denn Rückfälle seien schwer zu behandeln, so der Onkologe. „Wir sind nun in Heidelberg in der glücklichen Situation, dass wir eine der größten Sequenzierungseinheiten in Europa haben, also eine sehr starke technische Expertise vorhanden ist, wie das Erbgut von Tumoren aufgeschlüsselt werden kann.“ Es gebe außerdem eine starke Bioinformatikexpertise durch Expertengruppen, die besonders gut die Informationen aus den anfallenden Datenmengen herauslesen könnten.
Das drängendste Problem in der Kinderonkologie sind laut Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) Rückfälle nach einer intensiven Chemo- und Strahlentherapie. Etwa 500 Kinder betrifft das jährlich. Zum Zeitpunkt des Rückfalls sei meist schon „alles Pulver verschossen“, wirksame Therapien seien weitgehend ausgereizt. Heilungschancen gibt es bei den meisten Krebsarten gerade einmal für eines von zehn von einem Rezidiv betroffenen Kindern.
Zweck des Programms INFORM ist die Versorgung bösartige Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter mittels individualisierter Diagnostik und Therapie. Der Name des Programms leitet sich ab von INdividualized Therapy FOr Relapsed Malignancies in Childhood. Dahinter steht ein Zusammenschluss von führenden Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen auf dem Gebiet der Genomforschung sowie kinderonkologische Studiengruppen der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH).
Verdoppelung des Gesamtüberlebens möglich
Koordiniert wird INFORM vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), einer gemeinsamen Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg der Universität Heidelberg und der GPOH. Die Vorteile von INFORM:
- Detektion aller potentiellen Angriffspunkte für zielgerichtete Therapieansätze,
- erbliche Formen der Tumorerkrankung werden in 10 % der Fälle gefunden,
- klinische relevante „Korrektur“ der Diagnose in 10 % der Fälle,
- Verdoppelung des krankheitsfreien- und Gesamtüberlebens bei Identifizierung einer Zielstruktur mit hohem Evidenzgrad und passender Therapie.
Das INFORM-Programm ist das weltweit größte dieser Art für Kinder und Jugendliche, erklärt Prof. Witt. Mittlerweile seien über 3.000 Patient:innen mit Sarkom, Hirntumor, Neuroblastom oder einem seltenen embryonalen Tumor in Deutschland und Europa aus insgesamt 100 kinderonkologischen Zentren in das Programm eingeschlossen. „Wir haben eine sehr kurze Rücklaufzeit etablieren können, vom Eingang des Tumorgewebes bis hin zur Berichtung der Befunde im Tumorboard“, erklärt der Arzt. Das sei wichtig, weil die Kinder mit Rezidiv ihrer Tumorerkrankung in der Regel nur noch wenige Monate lebten.
Die Behandlung im KiTZ läuft wie von Dr. Witt geschildert folgendermaßen ab: Das nach einer Krebsdiagnose von den kooperierenden Ärzt:innen zugeschickte Material wird für die Tumorsequenzierung vorbereitet. Die Sequenzierung finde etwa in der Woche eins bis zwei statt, voll automatisiert. Um Woche drei herum werden die gefilterten Daten aus der Bioinformatikanalyse bewertet und für das jeden Freitag stattfindende molekulare Tumorboard aufbereitet. Durch die Analyse der Erbgutveränderungen zeigt sich, welche Veränderung in der Proteinausstattung der Krebszellen einen Überlebensvorteil bringen.
INFORM ist ein dynamisches, lernendes System mit kontinuierlichem zyklischem Wissenszuwachs. Die Daten sind u.a. über das REFORM-Register abrufbar. Inzwischen übernehmen 55 gesetzliche Krankenkassen in Deutschland die Kosten für die umfangreiche molekulare Krebsdiagnostik für krebskranke Kinder mit einem Rückfall oder einer Hochrisikoerkrankung. Das Deutsche Krebsforschungszentrum und das Universitätsklinikum Heidelberg haben dazu entsprechende Verträge mit mehreren AOKs und Betriebskrankenkassen abgeschlossen. Junge Patient:innen können so gezielt auf das Projekt aufmerksam gemacht werden.
Bislang wurde die molekulare Krebsdiagnostik für Kinder und Jugendliche allein durch Projektförderung und private Spenden ermöglicht. Das ist wohl auch der Grund, warum Henrick Clausing sagt, dass er den Zugang zur spezialisierten Diagnostik und Therapie für seinen Sohn Bjarne nur einem Zufall zu verdanken hat. Mit zweieinhalb Jahren war Bjarne wegen eines Notfalls in der Uniklinik Frankfurt behandelt worden und, so der Vater, „das große Glück war eigentlich, dass wir, während wir auf unsere Medikamente gewartet haben, einen Zettel fanden, wo draufstand, dass es eine Studie gibt und wir könnten ja daran teilnehmen.“
Keine Erwartungshaltungen bei Patient:innen erzeugen
Es habe auch geheißen, es gebe noch Material von der Biopsie und letztendlich würde das ausreichen, da mitzumachen. Es sei wie ein Sechser im Lotto gewesen, sein Sohn lebe deswegen. Nach Analyse des genetischen Materials habe er das richtige Medikament bekommen, zwei Tabletten morgens, zwei abends und es habe fast keine Nebenwirkungen gegeben.
Franz Knieps, Vorsitzender des BKK-Dachverbandes, hält Projekte wie INFORM oder auch das ähnliche MASTER-Programm, welches sich an erwachsene Tumorpatient:innen richtet, für wichtig. Innovationen seien nicht immer mit einem uneingeschränkten Nutzen verbunden. Aber die Arbeitsformen in den Projekten, öffentliche Forschung, Transparenz, das Zusammenwirken der Akteur:innen ermöglichten, Risiken relativ früh zu minimieren. Werde alles vorzeitig in die Regelversorgung gegeben und hoch bepreist, würden Versprechungen gemacht, die nicht eingehalten werden könnten. Es dürfe auch nicht sein, dass Betroffene nur durch „Zufallsgenerator“ auf eine Studie aufmerksam werden und es ihnen überlassen ist, sich durch die Struktur des Gesundheitswesens zu arbeiten.“
Quelle: BKK Innovativ