Sterbehilfe Neues Forschungsnetzwerk untersucht assistierte Suizide für mehr Handlungsklarheit

Gesundheitspolitik Autor: Angela Monecke

Anfragen zur Sterbehilfe betreffen nun verstärkt auch die hausärztliche Praxis. Anfragen zur Sterbehilfe betreffen nun verstärkt auch die hausärztliche Praxis. © Robert Kneschke – stock.adobe.com

Wie soll Beihilfe zum Suizid ablaufen? Diese Frage wird verstärkt kontrovers diskutiert. Auch Hausärz­t­innen und -ärzte müssen sich ihrer eigenen Haltung zur Sterbehilfe bewusst werden. Ein neues Forschungsnetzwerk untersucht die Suizidassistenz wissenschaftlich.

Seit über viereinhalb Jahren ist der ärztlich assistierte Suizid wieder straffrei: Im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Dem folgte mehr als ein Jahr später ein Beschluss des Deutschen Ärztetages, nach dem alle Kammern ihre Berufsordnung änderten. Seither ist Ärztinnen und Ärzten die Suizidassistenz nicht mehr untersagt. Und seither wird sie in Deutschland nicht nur verstärkt diskutiert, sondern auch die Zahl der assistierten Suizide ist stark angestiegen.

Von knapp 900 Fällen im zurückliegenden Jahr berichteten die Sterbehilfeorganisationen, wie das neue Foschungsnetzwerk „Suizidassistenz“ mitteilt. Die Dunkelziffer liegt womöglich deutlich höher. Zum Vergleich: In der Schweiz, wo man auf eine langjährige Erfahrung beim ärztlich assistierten Suizid blickt, sind inzwischen 2 %, in Kanada bis zu 5 % der Sterbefälle darauf zurückzuführen. Knapp 20.000 Fälle wären es hierzulande und pro Jahr, würde man die Schweizer Zahlen auf Deutschland übertragen.

Nach praktikablen Lösungen, wie mit Anfragen nach assistierter Sterbehilfe verantwortungsvoll umgegangen werden kann, sucht das neue Netzwerk, das im Oktober gestartet ist. Daran sind Forschende aus zehn Disziplinen beteiligt – von deutschen Universitäten und Hochschulen sowie Wissenschaftler:innen aus Pflege, Psychologie, Theologie und Strafrecht.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Netzwerk für drei Jahre. Es soll Qualitätskriterien schaffen, mit denen sich die nun gehäuft auftretenden Anfragen nach assistierter Selbsttötung und damit einhergehenden Aufklärungs- und Beratungsgespräche dokumentieren und bewerten lassen. Überdies wird ein Verfahrensstandard entwickelt, mit dem man die Freiverantwortlichkeit prüfen kann, also wann und unter welchen Voraussetzungen die Selbsttötung als freiverantwortlich anzusehen ist, sowie ein methodisches Rahmenwerk für Analysen aus den unterschiedlichen Fachdisziplinen, die die Handlungspraxis am Lebensende beurteilen.

Wissenschaftliche Standards bei Anfragen fehlen noch

„Bisher haben wir zu wenig Unterstützung für eine verantwortbare Gestaltung des Umgangs mit diesen Anfragen“, sagt Prof. Dr. Jan Schildmann, Sprecher des Forschungsnetzwerks und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin, Universitätsmedizin Halle. Es fehle an wissenschaftlich gestützten Verfahren. Der Wunsch nach Suizidassistenz entstehe in unterschiedlichen Lebenssituationen und aus sehr verschiedenen Motiven heraus. Vor diesem Hintegrund soll auch eine interdisziplinäre AWMF-Leitlinie „Umgang mit Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung“ entwickelt werden.

Mit gehäuften Anfragen und Äußerungen von Erkrankten, die einen Todeswunsch äußern, seien zunehmend auch Behandelnde aus der Allgemeinmedizin konfrontiert, sagt Prof. Dr. Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität Münster. Nur wenige von ihnen leisten bislang allerdings Suizidassistenz, obwohl sie ihre Patientinnen und Patienten besonders gut kennen.

Dies werde künftig auch besondere Anforderungen an die Arzt-Patienten-Kommunikation stellen, heißt es in der neuen S1-Handlungsempfehlung der DEGAM zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in hausärztlichen Praxen, die im Mai veröffentlicht wurde. Hausärztinnen und -ärzte müssten sich nicht nur mit den erforderlichen Grundkenntnissen zur ethischen und juristischen Einordnung der Suizidassistenz beschäftigen, sondern auch eine eigene Haltung zu dem Thema finden.

Laut DEGAM-Empfehlung legen Erfahrungen aus den Beneluxstaaten zudem nahe, dass mit der öffentlichen Diskussionen über eine gesetzliche Regelung hausärztliche Praxisteams vermehrt mit Betroffenen konfrontiert werden, die den Wunsch nach der Assistenz zum Suizid äußern.

Mit Beteiligung von vier Landesärztekammern hat die Universitätsmedizin Halle im Sommer eine Umfrage zur Handlungspraxis am Lebensende unter 2.000 Ärztinnen und Ärzten gestartet – elf Jahre nach der ersten Befragung dieser Art in Deutschland. Mit den Ergebnissen rechnen die Wissenschaftler:innen im kommenden Jahr.

Gesetzentwürfe gescheitert, neuer Anlauf 2025

Initiativen zu einer weitergehenden Regelung, die einen gesetzlichen Rahmen für die Bedingungen und die Voraussetzungen der Sterbehilfe schafft, scheiterten bislang, wie die beiden Gesetzentwürfe im Bundestag. Einen neuen Anlauf, der Rechtssicherheit für alle Beteiligten bringen soll, hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) für Anfang 2025 angekündigt.

Quelle: Pressegespräch Forschungsnetzwerk „Suizidassistenz“