Patienten zwingen, erst den Hausarzt aufzusuchen?
Beim Berufspolitischen Oktoberfest des Deutschen Hausärzteverbands haben die Teilnehmer – wie üblich bei Bier und Brezeln – diskutiert, wie man Patienten zuerst zum Hausarzt lotsen kann. Der Hausärzteverband und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) sind dabei jedoch geteilter Meinung.
„Auf lange Sicht kann die Primärversorgung nicht freiwillig sein“, erklärte Professor Dr. Martin Scherer, seit September Präsident der DEGAM. Vehementer Widerspruch kam von Ulrich Weigeldt, dem Vorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbands: „Es wäre politischer Selbstmord.“
Er gab zu bedenken, dass es weder dem Hausärzteverband noch der DEGAM zufallen würde, die verpflichtende Primärversorgung zu organisieren. Stattdessen würden dies die Körperschaften übernehmen. Er verteidigte die freiwillige Hausarztzentrierte Versorgung (HzV): „Wir müssen bei unserer Linie bleiben“. Die HzV wachse langsam, aber stetig. Als Beispiel verwies er auf Hessen, wo sich in den letzten Monaten immer mehr Patienten in die HzV eingeschrieben haben.
Prof. Scherer gab sich versöhnlich: Er werde sich öffentlich nicht gegen die HzV positionieren, intern müsse es aber möglich sein, über alles zu reden. Angesichts seiner kurzen bisherigen Amtszeit wolle er keine politischen Forderungen platzieren. Er betonte, dass DEGAM und Hausärzteverband letztlich für die gleichen Ziele kämpfen: „Eine gute Versorgung ist nur bei guten Rahmenbedingungen möglich. Hier finden unsere Interessen zueinander.“
Hausärzte sind nicht umsonst gut ausgebildet
Für die jungen Allgemeinärztinnen ergriff Dr. Leonor Heinz das Wort, die kürzlich in den Vorstand des Hausärzteverbandes gewählt wurde. Sie meinte, die gute Ausbildung der Allgemeinmediziner und ihr breiter Kompetenzbereich würden ad absurdum geführt, wenn Patienten wegen Kleinigkeiten zum Facharzt gehen.
Zusammenarbeit mit DocMorris stößt auf Skepsis
Einige Gäste äußerten sich empört über ein Pilotprojekt, das der Deutsche Hausärzteverband überraschend mit der Versandapotheke DocMorris und dem Hausärzteverband Westfalen-Lippe angekündigt hatte. Sie befürchten, Versandapotheken könnten den Offizinen vor Ort schaden.
In Westfalen-Lippe werden ab November fünf Ärzte und etwa 15 Apotheken sechs Monate lang die DocMorris-App „eRx-Rezept“ testen. Patienten, die an dem Projekt teilnehmen, erhalten statt eines normalen Rezepts einen QR-Code. Diesen können sie per App, per E-Mail oder ausgedruckt in einer der teilnehmenden Apotheken oder bei DocMorris einlösen. In einer zweiten Phase soll das eRezept mit einer Datenbank für Arzneimitteltherapiesicherheit verknüpft werden.
Die Initiatoren des Projekts wollen ausloten, wie man es Ärzten erleichtern kann, Medikamente digital zu verordnen. Gleichzeitig möchte man die Handhabung für Patienten vereinfachen, bei Apothekern eine breite Akzeptanz schaffen und die Zahl unerwünschter Arzneimittelereignisse reduzieren.
Weigeldt beschwichtigte seine Kollegen. Bei dem Pilotprojekt würden weder Ärzte noch Vor-Ort-Apotheken geschwächt. Solange dies gegeben sei, habe er gegen die Kooperation nichts einzuwenden. Er sieht das Projekt als gute Gelegenheit, das eRezept technisch auszutesten.
Kongressbericht: 44. practica Bad Orb