Klinische Krebsregister Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann über den aktuellen Stand der Krebsregistrierung

Gesundheitspolitik Interview Autor: Petra Spielberg

Auch zwischen den Krebsregistern der Bundesländer findet ein regelmäßiger Datenaustausch statt. Auch zwischen den Krebsregistern der Bundesländer findet ein regelmäßiger Datenaustausch statt. © Irene – stock.adobe.com

2013 haben die Bundesländer begonnen, klinische Krebsregister einzurichten, mittlerweile sind die Register flächendeckend arbeitsfähig. Prof. Dr. Wolfgang ­Hoffmann, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren und Leiter der Zentralstelle des Krebsregisters von Mecklenburg-Vorpommern, über den aktuellen Stand.

Die Errichtung der Krebsregister ging anfangs in manchen Bundesländern etwas schleppend vonstatten. Wie gestaltet sich das heute?

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann: Wir sind mit den Krebsregistern auf einem sehr guten Weg. Alle Bundesländer haben die Einrichtung ihrer Register abgeschlossen, und alle erfüllen mittlerweile die Förderkriterien der Krankenkassen. Das sind 43 sehr präzise formulierte, anspruchsvolle Anforderungen.

Wo steht Deutschland im internationalen Vergleich bei der Regis­trierung von Krebsdaten?

Prof. Hoffmann: In den meisten anderen Ländern gibt es weder eine Meldepflicht noch eine flächen­deckende Krebserfassung, schon gar nicht in dem Umfang, in dem wir hierzulande systematisch erfassen. Bei jedem Patienten, jeder Patientin erfolgen bei uns im Schnitt fünf bis sechs Meldungen über den Verlauf der Krankheit, inklusive der Diagnostik und aller krebsspezifischen Therapien bis hin zur Nachsorge. 

Eine große Stärke in Deutschland ist zudem, dass wir auf der Grundlage des onkologischen Basisdatensatzes und der organspezifischen Zusatzmodule nicht nur vergleichbare, sondern identische Informationen erfassen. Dazu kommt der regelmäßige registerübergreifende Datenaustausch, bei dem z.B. die Daten von Patient:innen, die in einem anderen Bundesland behandelt wurden, dem für den Wohnort zuständigen Regis­ter weitergegeben werden. Dadurch sind wir in Bezug auf Gesundheitsdaten derzeit die einzige Struktur, die bundesweit interoperabel ist.

Kommen alle Ärztinnen und Ärzte ihrer Meldepflicht nach?

Prof. Hoffmann: Über 90 % aller Ärztinnen und Ärzte finden die Krebsregister richtig und wichtig und engagieren sich dafür, trotz der aufwendigen Dokumentation zusätzlich zu den enormen täglichen Arbeitsbelastungen. Dafür sind wir sehr dankbar! Leider müssen die meisten Meldenden vieles doppelt dokumentieren, da viele Praxis­systeme keinen automatischen Datenexport erlauben – das ist eigentlich ein Skandal! Trotzdem müssen wir nur ganz selten bezüglich der Meldepflicht nachhaken, meistens bei Ärztinnen oder Ärzten, die nicht so häufig mit Krebspatient:innen zu tun haben. Hier ist manchmal etwas Überzeugungsarbeit notwendig. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir aber bei rund 1.500 Meldern erst einmal ein Bußgeldverfahren einleiten müssen. Auf der anderen Seite versuchen wir, unseren Meldern etwas zurückzugeben, indem sie einmal im Jahr einen Bericht zu den von ihnen gemeldeten Fällen erhalten, sodass jeder Behandelnde die gesamte Krebsgeschichte seiner Patient:innen einsehen kann.   

Wo sind die Register für epidemiologische und klinische Daten in den Bundesländern angesiedelt?

Prof. Hoffmann: In fast allen Bundesländern, mit Ausnahme von Niedersachsen, sind die epidemio­logischen Krebsregister nun an denselben Stellen angesiedelt wie die klinischen. Endlich sind also die klinischen und die epidemiologischen Register integriert und wir können von Krebsregistern sprechen!

Wie weit entfernt sind wir von dem Ziel, überall eine leitliniengerechte Versorgung mithilfe der Krebsregister anbieten zu können?

Prof. Hoffmann: Wir hoffen nicht, dass das noch Jahre dauern wird, sind aber noch ein Stück von dem Ziel entfernt, dass alle Patient:innen mit Krebserkrankungen in zertifizierten Zentren behandelt werden. Mithilfe der Krebsregister können wir nachvollziehen, dass dies im Moment nur in etwas mehr als der Hälfte aller Fälle geschieht. Das bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass die Behandlung in kleineren Krankenhäusern schlechter sein muss! Es ist aber bekannt, dass die Patient:innen davon profitieren, wenn ihre Diagnostik und initiale Versorgung in spezialisierten Zentren erfolgt. Die Krebsregister geben auch Auskunft darüber, in welchen Fällen Abweichungen von den jeweils aktuellen Leitlinien erfolgen, was unseren Expert:innen aus den tumorspezifischen Arbeitsgruppen die Möglichkeit gibt, kollegial mit den Kolleg:innen zu besprechen, wie sich die Versorgung verbessern lässt. Das geschieht vertraulich. 

Wie fließen die Daten aus der Nachsorge in die Register ein?

Prof. Hoffmann: Wir streben an, dass die Nachsorgedaten bundesweit mindestens einmal pro Jahr gemeldet werden. Noch handhaben es die Bundesländer aber unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern z.B. dürfen die Krebsnachsorgen so oft gemeldet werden, wie es die tumorspezifischen Leitlinien empfehlen. Das kann bei einzelnen Krebsarten bis zu vier Mal im Jahr sein. In anderen Bundesländern darf nur einmal jährlich gemeldet werden oder nur, wenn sich in der Nachsorge Änderungen ergeben haben. 

Welche Neuerungen beinhaltet das Ende 2022 in Kraft getretene Gesetz zur Zusammenführung von Krebsregisterdaten?

Prof. Hoffmann: Das Gesetz regelt u.a. die Überführung des Datensatzes der Krebsregister an das Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut in Berlin. Damit werden dort die vorhandenen epidemiologischen Datensätze um klinische Informationen z.B. zur Therapie und zur Nachsorge ergänzt. Forschende können dann auch Daten aus den klinischen Registern beim RKI bekommen. Da die einzelnen Krebsregister lediglich anonyme und keine identifizierenden Daten an das RKI schicken, ermöglichen diese Daten im Wesentlichen Analysen im Bereich Epidemiologie und Versorgungsforschung. Für klinische Studien sind die Daten aus dem RKI nicht geeignet, weil dafür meist eine individuelle Zuordnung erforderlich ist. Um für die onkologische Spitzenforschung einen Durchbruch zu erzielen, brauchen wir die Möglichkeit, Daten individuell verknüpfen zu können, also z.B. Informationen aus den Krebsregistern mit Daten des Forschungsdatenzentrums beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder aus den Studienzentralen der onkologischen Studien. 

Wie weit ist das Konzept zur Verknüpfung der Krebsregisterdaten  mit anderen Datenquellen gediehen? 

Prof. Hoffmann: Spätestens 2024 muss das Konzept für die zweite Phase stehen. Die Spitzenforschung wartet händeringend auf die Möglichkeit, individuelle Daten zu bekommen. Das würde völlig neue Möglichkeiten für die bevölkerungsbezogene Krebsforschung und die Entwicklung personalisierter Behandlungsmöglichkeiten eröffnen, die unmittelbar den betroffenen Patient:innen zugute­kämen.

Medical-Tribune-Interview

Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann.
Leitung Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health, Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald. Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann. Leitung Abteilung Versorgungsepidemiologie und Community Health, Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald. © Stefan Dinse