Praxiskolumne Qualitätssicherung mit Leidensfaktor
Das große Nr. 1-Medien-Thema Corona ist auf den 2. Platz gerückt, Spitzenreiter ist jetzt der Krieg in der Ukraine. Beide haben eine Gemeinsamkeit, die wir alle in unseren Praxen täglich mit steigenden Patientenzahlen erleben und behandeln: das Angstsyndrom. Und genau in diese Situation hinein veröffentlicht der G-BA in diesem Frühjahr den Bericht „Qualitätssicherungsverfahren zur ambulanten psychotherapeutischen Versorgung gesetzlich Krankenversicherter“.
Zur Erinnerung: Der G-BA konkretisiert den Leistungskatalog der Krankenkassen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Er wird gebildet von KBV, KZBV, Deutscher Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband. Organisationen, die Patienteninteressen vertreten, besitzen im G-BA Mitberatungs- und Antragsrechte, aber immer noch kein Stimmrecht.
Das Bundesministerium für Gesundheit hat die Rechtsaufsicht. Der G-BA ist seit 2014 an dem Thema neues Qualitätssicherungs-Verfahren dran. Viele von uns werden darunter künftig leiden, übrigens letztendlich auch Patient*innen, weil sie noch länger auf einen Therapieplatz werden warten müssen, denn das QS-Verfahren nimmt viel Zeit in Anspruch. Es dient meines Erachtens auch als Versuchsballon für weitere QS-Verfahren, die der GKV-Spitzenverband im Köcher hat und die uns alle betreffen werden.
Die Veröffentlichung gerade jetzt ist taktisch klug, denn wir sind abgelenkt und bemerken nicht, welches neue Monster auf uns zustapft: Nach wenigen Jahren der Vereinfachung und Entspannung soll die Psychotherapie-Richtlinie wieder verschärft werden, einzig und allein um Geld zu sparen. Mit dieser simplen Begründung kann der G-BA aber nicht an die Öffentlichkeit treten, also wird das neue QS-Verfahren „wissenschaftlich“ verbrämt.
Diese Begründung will ich Ihnen ersparen, sie ist eh an den Haaren herbeigezogen. Die offiziellen Ziele des QS-Verfahrens sind die Messung und vergleichende Darstellung der Qualität der psychotherapeutischen Versorgung, wofür ein kompaktes, fokussiertes und fallbezogenes Instrumentarium entwickelt werden soll (…). Parallel wird für das künftige QS-Verfahren eine Patientenbefragung vorbereitet. Schon klar, oder?
Ins QS-Verfahren einbezogen werden alle niedergelassenen Leistungserbringer, die im GKV-System Richtlinien-Psychotherapie für Erwachsene erbringen und abrechnen dürfen. Nicht eingeschlossen sind ambulante psychotherapeutische Leistungen der Psychiatrischen Instituts- und der Hochschulambulanzen. Warum nicht? Etwa weil man diese Kolleginnen und Kollegen für das Erreichen der oben genannten Ziele des QS-Verfahrens inklusive Patientenbefragung benötigt?
Der Dokumentationsbogen für die Leistungserbringer umfasst 101 Datenfelder, von denen 89 fallbezogene und 12 administrative Datenfelder sind. Sog. Prozessindikatoren (Diagnostik, Therapiezielvereinbarung, Erfassung und Besprechung des Therapiefortschritts im Verlauf, patientenindividuelle Absprachen und Kommunikation mit an der Behandlung Beteiligter, Vorbereitung und Gestaltung des Therapieendes, Erhebung des Behandlungsergebnisses) werden zusammen mit der Patientenbefragung das Indikatorenset für das QS-Verfahren bilden. Prozess- und Ergebnisqualität werden dabei berücksichtigt.
Den Rahmen für das neue QS-Verfahren schafft die Psychotherapie-Richtlinie, die der Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Psychotherapie der Versicherten dient. Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Lesen dieser Zeilen ist eine Zumutung, grenzt fast schon an Körperverletzung. Aber wir werden uns an diese Neufassung des Wirtschaftlichkeitsgebot, nicht nur in der Psychotherapie-Richtlinie, gewöhnen müssen – oder wir wehren uns!