Praxiskolumne Operation Elektroschrott schreddert Vertrauen
Seit Monaten sind wir in unseren Praxen Versuchslabore für nicht funktionsfähige Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI): Beispielsweise für elektronische Gesundheitskarten, die mit ihrer Ladung die Kartenterminals und damit den Praxisbetrieb lahmlegen. In der Konsequenz schnippelten Medizinische Fachangestellte vielerorts aus Fußmatten Gummiquadrate heraus, die – unter die Geräte gelegt – gegen irgendeine statische Entladung helfen sollen. Schließlich muss es weitergehen mit dem Praxisbetrieb während der Coronapandemie und während unsere Praxen sich nun zusätzlich auf die Versorgung von Kriegsgeflüchteten einstellen.
Jetzt ruft die gematik zum Tausch der Konnektoren auf – in gewohnt transparenter Kommunikation – , die Ärzteverbände erfahren es nur auf Umwegen. Praxisinhaberinnen und -inhaber sollen also erneut Geld in die Hand nehmen für die TI, deren Anwendungen im Praxisalltag schlichtweg nie funktioniert haben. ,,Maximales Unverständnis“ äußert dann auch der Deutsche Hausärzteverband für die Aktion. ,,Die gematik habe spätestens jetzt jegliches Vertrauen der Hausärztinnen und Hausärzte verloren“, so der Bundesvorsitzende Ulrich Weigeldt in einer Pressemitteilung.
Eigentlich ist doch schon klar, dass nach Einführung einer Telematikstruktur 2.0, die ja erklärtes Ziel der gematik ist, keine Hardwarekonnektoren mehr benötigt werden. Nun sollen, da die ,,Nutzungszeit“(soweit man hier überhaupt von Nutzen sprechen kann) einiger Konnektoren abläuft, diese erneut ausgetauscht werden. ,,Operation Elektroschrott“, wie es die Freie Ärzteschaft tituliert. Die Berufsverbände sind schlicht entsetzt.
Dabei hätte es eigentlich keinen besseren Zeitpunkt geben können, die Ärzteschaft vom Nutzen der Digitalisierung zu überzeugen, als während der Coronapandemie. Funktionierende TI-Anwendungen hätten eine Entlastung für die Praxen bedeutet.
Ich glaube nicht, dass die Ärzteschaft per se gegen Digitalisierung ist. So zeigt der Digitalisierungsreport einer großen deutschen Krankenkasse: Wer digitale Anwendungen bereits nutzt, sieht vielfach deren Vorteile.
Im selben Bericht wird auch festgestellt, dass wir eine gemeinsame Digitalisierungsstrategie und eine neue Qualität der Zusammenarbeit brauchen. Nur gemeinsam könne die Digitalisierung erfolgreich sein.
Die Kassen scheinen dies vielerorts erkannt zu haben. So sind in Baden-Württemberg in der gemeinsamen elektronischen Arztvernetzung von AOK, Medi und Hausärzteverband im Rahmen der Hausarztzentrierten Versorgung bereits über eine Million Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen online versendet worden. Hier läuft eine gemeinsam mit der Ärzteschaft entwickelte digitale Anwendung also hervorragend.
Der Workflow in den Praxen hat sich in den letzten Jahren nochmals enorm verdichtet. Ein Beispiel ist die Zahl der Telefonanrufe in den Praxen zum Thema Impfstoff oder Impfberatung. Der entstandene immense Versorgungsdruck wäre geeignet gewesen, aufzuzeigen, wie Digitalisierung die Praxen unterstützen kann, etwa durch Terminbuchungsmöglichkeiten online, digitalisierte Anrufbeantworter oder volldigitalisiertes Impfmanagement. Manche Kollegen haben sich längst selbst nach geeigneten Lösungen umgesehen. Der Gesetzgeber hätte die Niedergelassenen durch einen TI-Zuschlag für freiwillige digitale Neuanschaffungen zur Bewältigung der Coronakrise oder zur Beschleunigung der Impfkampagne unterstützen können. Stattdessen wurde diese Chance erneut verspielt. Es kommt wieder eine Zwangsverpflichtung für Praxisinhaberinnen und -inhaber, die Geld kosten wird für in Kürze funktionslosen Elektroschrott.