Schnell noch wichtige Gesundheitsgesetze beschließen, ehe die Koalition zerbricht
Die Große Koalition mag in einer für sie bedrohlichen Lage sein. Doch ginge es allein nach den Interessen des wichtigsten gesundheitspolitischen Protagonisten der SPD, Prof. Lauterbach, könnte sie noch lange weitermachen. In keinem anderen Politikbereich laufe die Zusammenarbeit in der GroKo so gut wie in der Gesundheitspolitik, sagte der Abgeordnete vor Journalisten. „Wir haben hier bisher mehr umgesetzt als die schwarz-gelbe Koalition in einer gesamten Legislaturperiode.“
SPD hofft auf das Ende der „Zweiklassenmedizin“
Der SPD-Politiker war so voll des Lobes für seinen Verhandlungspartner auf Unionsseite, Minister Spahn, dass man meinte, er werde diesen auch noch als idealen CDU-Vorsitzenden preisen. So weit kam es dann aber doch nicht. Denn Prof. Lauterbach geht es vor allem um diese Botschaft: Er und Spahn wollen nun ranklotzen, um vor einem eventuellen Scheitern der Koalition noch möglichst viele Gesetze voranzubringen.
Höchste Priorität hat dabei das bei Ärzten fast schon verhasste Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG). Dieses helfe, „die Zweiklassenmedizin zu beenden“ und ermögliche den Einstieg in eine Digitalisierung der medizinischen Versorgung, wie man sie in Europa noch nicht gesehen habe, schwärmte Prof. Lauterbach.
Bei der ggf. demnächst aufkommenden Frage, ob die SPD aus der Regierung aussteigt, ist Prof. Lauterbach als Fraktionsvize keine unbedeutende Stimme. Er hoffe, dass man die Regierungsarbeit fortsetze, sagte er, doch auch er wisse nicht, „wie lange die Koalition noch hält“.
Im Gesundheitsbereich sei man von der viel beschworenen Sacharbeit nie abgekehrt, hier seien viele originär sozialdemokratische Forderungen von Minister Spahn abgearbeitet worden. Dieser setze „auch die SPD-seitig in den Koalitionsvertrag verhandelten Gesetze sehr zuverlässig, schnell und kollegial um“, lobte Prof. Lauterbach. Ein Beispiel sei das vom Bundestag verabschiedete Pflegepersonalstärkungsgesetz – das für die Pflege wichtigste Gesetz der letzten 15 Jahre. Der Abbau von Pflegepersonal zugunsten von Ärztestellen werde damit beendet.
Auch bei der doppelten Widerspruchslösung für Organspenden seien er und Spahn schon weit gekommen, gerade hätten sie einen Gruppenantrag ausgearbeitet. „Ich gehe davon aus, dass wir den Gesetzentwurf bis Ende des Jahres vorlegen werden“, kündigte Prof. Lauterbach an.
Onlineterminvermittlung: Patienten werden sie lieben
Das für die SPD und wohl auch für Prof. Lauterbach persönlich wichtigste gesundheitspolitische Gesetzesvorhaben ist aber sicher das TSVG. Dieses werde „definitiv kommen“, zeigte er sich überzeugt, er halte ein Inkrafttreten zum 1. April für möglich. „Egal, wie lange die GroKo noch arbeitet – dieses Gesetz wollen wir abschließen.“
Entgegen vieler Stimmen aus der Ärzteschaft lohne sich das TSVG auch für die Praxen, betonte Prof. Lauterbach. Ein Arzt, der über Terminservicestellen ein Drittel mehr Patienten annehme, könne 30 % mehr Honorar erwirtschaften – die Behandlung von Patienten, die über die Servicestellen einen Praxistermin bekommen, soll laut Gesetz extrabudgetär vergütet werden. Es sei davon auszugehen, dass die Onlineterminvermittlung bei Patienten schnell zum Standard werde, auch aus „Bequemlichkeitsgründen“, so Prof. Lauterbach.
Die Zeit für die elektronische Patientenakte ist jetzt reif
Der Schritt zu digitalen Lösungen scheint für den Politiker einer der wichtigsten TSVG-Effekte zu sein. Denn mit dem Gesetz werden die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet, spätestens ab dem Jahr 2021 für ihre Versicherten die elektronische Patientenakte (ePA) bereitzustellen – auch über Smartphone-Apps, die den Rund-um-die-Uhr-Zugriff auf Gesundheitsdaten ermöglichen. Patienten, die ihre Daten oder ihre Suchverläufe im Internet freigäben, könnten von Kassen oder Drittanbietern Angebote bekommen, z.B. zu Betreuungsmöglichkeiten, Zusatzuntersuchungen, Hilfsmitteln und Medikamenten. „Unser Gesundheits- und Krankheitsbewusstsein wird sich dadurch ändern.“
Es sei retrospektiv geradezu ein Glücksfall, dass es so lange gedauert habe, die ePA auf den Weg zu bringen, meint der Mediziner und Gesundheitswissenschaftler. Erst jetzt seien die technischen Voraussetzungen für sichere und zuverlässige Apps gegeben. Die ePA werde Anklang finden, sobald „die ersten Killer-Applikationen auf den Markt kommen“. Die Koalition werde mit dem TSVG den „Weg für einen Markt frei machen, den es in Europa so noch nicht gibt“.