Schweigepflicht – auf dem Land so eine Sache
Nun ist es ziemlich genau ein halbes Jahr her, dass die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft getreten ist. Ich gebe zu, für mich ziemlich plötzlich, auch wenn uns die Behörden glauben machten, sie sei ungefähr so vorhersehbar gekommen wie Weihnachten.
Verschwunden sind auch die satirischen Videos und Rundmails, die in den sozialen Netzwerken kursierten: Etwa das einer trampeligen MFA, die vor dem gefüllten Wartezimmer dem allen Anwesenden bekannten Landtagsabgeordneten telefonisch seine delikate Diagnose mitteilt. Oder die Anfrage, ob die Vornamen der MitschülerInnen aufs T-Shirt mit der Überschrift „ABI 2018“ gedruckt werden dürfen, ohne deren explizite Unterschrift einzuholen.
Mittlerweile hat nun wohl auch jeder Nachzügler die neuen Formulare griffbereit. Und lässt sie von den Patienten unterschreiben. Hat sich etwas geändert, außer dass die Patienten mehr unterschreiben müssen und die MFA nicht vergessen darf, die Unterschriften einzufordern und zu kontrollieren? Ist es nun besser bestellt um unseren Datenschutz?
Ich denke, die meisten von uns haben schon vorher darauf geachtet, am Telefon keine Namen und erst recht keine Diagnosen zu nennen, wenn ein anderer Patient mithören kann. Und die Karteikarten wurden auch schon vor der DSGVO zur Seite und auf das Deckblatt gelegt, wenn ein anderer Patient das Sprechzimmer betrat. Schließlich muss Frau Meier ja das Geburtsdatum oder die letzten Impfungen von Frau Müller nicht wissen. Wobei ich bei meiner krakeligen Ärzteschrift da eigentlich weniger Sorgen hätte. (Die hat nur meine MFA, wenn sie meine Notizen lesen soll!) Und es gibt ja immer noch die ärztliche Schweigepflicht.Mit der ist es aber in einer ländlich geprägten Kleinstadt wie unserer tatsächlich so eine Sache.
„Frau Doktor, das war doch gerade meine Ex-Schwägerin. Was hat sie denn?
Ich bin immer wieder völlig verblüfft, wenn eine Patientin oder ein Patient ins Sprechzimmer kommt mit den Worten: „Das war doch gerade meine Ex-Schwägerin. Was hat die denn eigentlich?“ Oder: „Was meinen Sie, hat die Frau XY überhaupt noch eine Chance bei ihrem Krebs?“ Das gibt’s doch gar nicht! Da verschlägt es mir immer wieder die Sprache. Und das ist gut so, denn so komme ich selbst in der vertrautesten Arzt-Patienten-Situation nicht in die Gefahr, etwas zu sagen!
Ich habe es schon mit allen möglichen Antworten versucht. Eine Möglichkeit ist, ich erzähle allgemein etwas über die gesetzliche Verpflichtung des Arztes zur Verschwiegenheit. Das kommt bei diesen Personen allerdings meist gar nicht gut an. Sie halten es tatsächlich für ihr gutes Recht, zu wissen, was mit dem Nachbarn los ist. Ihre Antwort lautet dann typischerweise: „Ich wollte es ja nur wissen.“ Na klar.
Neugier ist halt eine zutiefst menschliche Eigenschaft
Wenn es wirklich impertinent wird, versuche ich es mit folgender Frage: „Wäre es Ihnen denn recht, wenn ich Ihre Krankheiten und Behandlungen einfach so an die Ex-Schwägerin oder an Frau XY weitergeben würde?“ Dann werden manche doch nachdenklich. Und die immer noch Uneinsichtigen erklären mit einem gewissen Trotz in der Stimme: „Ich habe nichts zu verbergen.“
Na ja, da fragt sich die Hausärztin, ob das wohl so stimmt, ob etwa in der Anamnese nicht alles erzählt wurde und ob so viel Naivität überhaupt möglich ist. Neugier ist halt eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Das ist in einer Großstadt nicht anders als bei uns auf dem Land. Aber eigentlich ist das Menschliche auch das Beruhigende. Finden Sie nicht auch?