Wenn unser Frust instrumentalisiert wird
Vor 45 Jahren, als angeblich eine Ärzteschwemme auf uns zurollte, hat man den Medizinstudierenden noch den motivierenden Satz an den Kopf geworfen: „Sie braucht kein Mensch.“ Gastarztverträge ohne Bezahlung waren üblich. Medizinstudienplätze wurden drastisch reduziert – und seitdem nie wieder angehoben.
Heute klagen wir über Ärztemangel und die sich im System befindenden Ärztinnen und Ärzte müssen sich in den Krankenhäusern mit einem unmenschlichen DRG-System rumschlagen und leiden unter der zunehmenden Ökonomisierung. Die Niedergelassenen verzichten auf 25 % des ihnen zustehenden Honorars und verharren in Schockstarre, wenn die Pharmakotherapieberater ihrer KV ihnen Überschreitungen des zwischen der KV und den Kassen ausgehandelten Ausgabenvolumens prophezeien, sodass sie mit Wirtschaftlichkeitsprüfungen zu rechnen haben. Sie lesen und hören, dass daran v.a. die NOAKS und andere Innovationen die Schuld tragen, werden also für eine deutsche, von der Politik ermöglichte und von den Krankenkassen umgesetzte, Preispolitik bestraft. Mit den im europäischen Ausland existierenden Arzneimittelpreisen müssten sie keine Regresse fürchten.
Auch „Cannabis auf Rezept“ kann Ihnen übrigens jetzt noch auf die Füße fallen. Die Kassen dürfen die Kostenübernahme zwar nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen, doch bis zur Zustimmung oder Ablehnung ist das Genehmigungsverfahren ein bürokratischer, zeitaufwendiger und schlecht honorierter Hindernislauf. Und jetzt stellt man plötzlich fest, dass die genehmigten Cannabisverordnungen ja Kosten verursachen und dass die Wirtschaftlichkeit geprüft werden muss. Bleibt nur zu hoffen, dass den KVen Nachverhandlungen gelingen, um die neuen Ausgaben für Cannabis, die bei den letzten Verhandlungen noch nicht mit einkalkuliert werden konnten, noch aufzufangen.
Das alles erleben Famulanten und Weiterbildungsassistenten hautnah mit. Und sie überlegen sich verständlicherweise zweimal, ob sie sich wirklich niederlassen sollen. Immer häufiger suchen Sie nach Betätigungsfeldern außerhalb der Patientenversorgung bzw. Möglichkeiten, im Ausland zu arbeiten.
Nicht jeder Fürsprecher spricht in unserem Sinn
Und was können die sich im System Befindenden tun? Aktionen, wie sich wehren, protestieren oder demonstrieren, kommen – obwohl das Interesse da ist! – aus Zeitmangel nicht infrage. Die Konstellation „junge verheiratete Ärztin mit zwei kleinen Kindern und berufstätigem Ehemann, der morgens das Haus verlässt und abends zurückkehrt“ ist keine Seltenheit. Dass eine solche Kollegin froh ist, wenn sie halbwegs rumkommt mit der Praxis, den Kindern, den Schulden, den CME-Punkten, dem Bereitschaftsdienst, den Regressen und immer neuen Regulierungen und Kontrollen – ist absolut verständlich. Auch wenn ihr eigentlich klar ist, dass sie in ein unwürdiges System eingebunden ist – was Gesundheitsminister Jens Spahn schon mal abtut mit der Bemerkung „Niemand zwingt Sie Kassenärztin zu werden“ –, muss sie das verdrängen und unbeirrt KV-Veranstaltungen besuchen, wo ihr gesagt wird, wie sie ohne Blessuren als Niedergelassene überleben kann.
Ein Gesundheitspolitiker, der in seiner aktiven Zeit als Mediziner hervorragende Arbeit geleistet hat, ist Prof. Dr. med. Axel Gehrke, der bis 2007 den Lehrstuhl für Physikalische Medizin und Rehabilitation der Medizinischen Hochschule Hannover inne hatte. Für viele nicht nachvollziehbar wurde er sechs Jahre nach seiner Emeritierung Mitglied in der rechtspopulistischen Partei AfD und sitzt seit 2017 als Bundestagsabgeordneter im Ausschuss für Gesundheit. Seine Erfahrung und Sachkenntnis nutzt er jetzt für Analysen des Gesundheitssystems im Sinne der Partei. So auch neulich vor ca. 200 Teilnehmern des SPIFA (Spitzenverband der Fachärzte). Diese mögen inhaltlich wohl zugestimmt haben – applaudiert hat niemand. Warum wohl. Das gesundheitspolitische Engagement der AfD, in personam Axel Gehrke, hat nur ein Ziel: Stimmenfang unter frustrierten Gesundheitsberuflern und Patienten für eine Partei mit einem unsozialen und undemokratischen Gesellschaftsbild.