Spahn zufrieden mit Finanzierung von Start-ups durch Kassen
Der rechtliche Rahmen für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist gesetzt. Jetzt kommt es darauf an, „was wir daraus machen“, sagt Dr. jur. Ralf Kantak, Vorsitzender des PKV-Verbandes. Die PKV sieht er als Innovator im dualen Krankenversicherungssystem. Beispiel: der PKV-eigene Venture Capital Fonds „heal capital“. Innerhalb weniger Wochen sei es gelungen, über 80 Mio. Euro zu mobilisieren; das Zielvolumen betrage 100 Mio. Euro.
Mit dem Geld wollen die Investoren digitale Innovationen fördern, damit diese schneller in die Versorgung kommen. Das betrifft z.B. Gesundheits-Apps, die Menschen mit chronischen Erkrankungen begleiten, digitale Angeboten, die Patienten in der Prävention oder Arzneitherapie unterstützen sowie telemedizinische Angebote, die den Zugang zu ärztlicher Versorgung fernab der großen Zentren erleichtern. Die neuen Möglichkeiten könne man noch gar nicht erahnen, glaubt Kantak.
Gesundheitsminister Spahn lobt die Initiative der Privaten. Man brauche „Wagniskapitalgeber“. Es sei notwendig, Erstgründer finanziell zu unterstützen, ggf. mehrfach. Sonst passiere es, dass das Geld aus dem Ausland komme und Start-ups abwanderten. Spahn sieht hier Unternehmen und Vorstände gefordert, inklusive in der gesetzlichen Krankenversicherung. GKV-Rücklagen von 20 Mrd. Euro machten das möglich.
Kapitalbeteiligungen der Krankenkassen sind erlaubt
Die Grundlage für Investitionen der Krankenkassen schafft das Digitale-Versorgung-Gesetz. Es gibt den Kassen die Möglichkeit, die Entwicklung digitaler Innovationen (digitale Medizinprodukte, künstliche Intelligenz, telemedizinische oder IT-gestützte Verfahren) zu fördern. Krankenkassen können dafür bis zu 2 % ihrer Finanzreserven in Kapitalbeteiligungen investieren.
Die Barmer ist hier Vorreiter. Darauf verwies auch der Minister. Sie kooperiert seit Jahren mit dem Venture Capital Fonds Earlybird. Eine begrenzte Kapitalbindung, Ausfallbürgschaften und die Sicherung einer adäquaten Marktverzinsung begrenzen das Einsatzrisiko.
In drei, vier Jahren ist der Zug abgefahren
Spahn zeigt sich zufrieden: In den letzten zwölf Monaten habe die Digitalisierung im Gesundheitswesen dank der politischen Rahmenbedingungen eine gute Geschwindigkeit gezeigt. Er hofft auf einen Wettbewerb der Kassen um Ideen. Das betrifft sowohl die Finanzierung als auch die Bereitschaft, Innovationen zu nutzen – auch weil Google, Apple und Amazon Milliarden in den Gesundheitsbereich investierten und China dabei sei, seine Bevölkerung zu gensequenzieren. „Wenn wir nicht vorankommen, haben wir in drei, vier Jahren nichts mehr zu entwickeln“, sagt Spahn.
Innovationen und Digitales dürften nicht als Bedrohung empfunden werden, sondern als Mehrwert für die Versorgung, für die Kommunikation und für die Patienten. Als großes Leitprojekt bezeichnet er die elektronische Patientenakte (ePA), die zwar schon seit 2004 im Gesetz steht, aber noch immer nicht verfügbar ist. Ab 2021 soll es sie aber doch geben. Dann müsse die Akte „spürbar, wahrnehmbar, tauglich sein“, so der Minister.
Spahn hat den Chaos Computer Club um Unterstützung beim Schließen von Sicherheitslücken gebeten, z.B. beim Zugang zur Telematik-Infrastruktur mittels des elektronischen Heilberufeausweises. Die ePa werde anfangs nicht gleich perfekt sein, aber „wir fangen mit einem verantwortbaren Wagnis an“, versichert Spahn.
Grundvertrauen in Konzerne, aber nicht in den Staat
Auch zum Umgang mit Patientendaten äußert sich der CDU-Politiker. Wenn ein US-Gesundheitskonzern Daten über Bürger in Europa und Deutschland sammele, interessiere das keinen. Würde aber im Bundestag der gesetzliche Rahmen für die Nutzung anonymisierter Abrechnungsdaten zum Vorteil von Patienten mit Krebs, Diabetes oder Bluthochdruck gesetzt, dann werde von einem Skandal gesprochen.
„Wenn es ein Grundvertrauen in amerikanische Großkonzerne gibt, nicht aber in den Staat, dann ist das eine Imbalance, die uns auf Dauer nicht nach vorne bringen wird“, sagte Spahn. Er hält deshalb eine Chancendebatte für notwendig: Warum nicht auch ein Grundrecht auf eine eindeutige Identifikationsnummer für jeden Bürger – dann allerdings „mit unserem Verständnis für Datensouveränität des einzelnen Bürgers im Sinn einer Selbstbehauptung“. Wenn ein Staat in einem Solidarsystem allen Bürgern Zugang zur medizinischen Versorgung ermögliche, sei dann nicht die Bereitschaft zu erwarten, Daten zur Verfügung zu stellen?
Medical-Tribune-Bericht