Sponsorengeld stinkt nicht: Gericht verpflichtet Ärztekammer, CME-Tagung zu zertifizieren

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Eingriff in die Berufsfreiheit von Fortbildungsanbietern. Eingriff in die Berufsfreiheit von Fortbildungsanbietern. © Gerhard Seybert und Studio East - stock.adobe.com/MT

In ihrem Bestreben, ärztliche Fortbildung von ökonomischen Interessen freizuhalten, ist die Ärztekammer Hamburg offenbar beim Nicht-Zertifizieren einer Veranstaltung übers Ziel hinausgeschossen. Das Verwaltungsgericht spricht sogar von einer verfassungswidrigen Regelung.

Der Ärzteportalbetreiber esanum bietet u.a. gesponserte Fortbildungen an. So auch den „Hausarzttag Hamburg 2019“ am 21. September 2019 – inhaltsgleich wie in neun weiteren Städten. Allerdings gingen die Mediziner, die in Hamburg den 13 Vorträgen lauschten und die ergänzende Industrieausstellung besuchten, ohne CME-Punkte nach Hause. Denn die Ärztekammer hatte drei Tage zuvor die Zertifizierung der Veranstaltung abgelehnt.

Kammer stört das Verhältnis von Kosten zu Einnahmen

Begründung: Die angebotenen Inhalte könnten nicht als frei von wirtschaftlichen Interessen (der Sponsoren) im Sinne des § 8 Fortbildungsordnung angesehen werden. Die Veranstaltung entspreche insgesamt nicht den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Fortbildung. Die Differenz zwischen den eigentlichen Veranstaltungskos¬ten und der eingeworbenen Sponsoringsumme sei unverhältnismäßig.

Der Widerspruch von esanum blieb erfolglos. Darum klagte das Unternehmen beim Verwaltungsgericht (VG) Hamburg. „Die Fortbildungsordnung ist in allen Bundesländern die gleiche, nur wird sie nicht überall gleich angewendet“, wundert sich CEO Tom Renneberg.

Das VG Hamburg hob die Bescheide der Ärztekammer auf und verpflichtete diese, den „Hausarzttag“ mit zehn CME-Punkten anzuerkennen. Allerdings ist laut Kammer bereits die Berufung beim Oberverwaltungsgericht anhängig, sodass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist.

Das Gericht folgt weitgehend der Argumentation des Klägers. Es hält § 8 Abs. 1 Nr. 2 der Fortbildungsordnung für verfassungswidrig, weil damit gegen höherrangiges Recht verstoßen werde. Satzungsrecht – hier: das Einhalten der Berufsordnung als Anerkennungsvoraussetzung – könne nicht im Konflikt mit dem Grundrecht auf freie Berufsausübung bei Dritten, die der Kammer nicht angehören, durchgesetzt werden. Das VG verwirft die Norm als unbeachtlich.

Veranstaltung darf sich auf Arzneitherapie beschränken

Auf die Frage der Angemessenheit der Sponsorengelder komme es bei der qualitativen Absicherung von Fortbildungsinhalten nicht an, führt das Gericht aus. Der Ärztekammer stehe es nicht zu, die Einnahmen des Unternehmens auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen, zumal sich dafür schwerlich ein „rational begründbarer Maßstab“ finden lasse. Indem die Kammer aber solche Überlegungen zur Grundlage einer Zertifizierungsablehnung mache, greife sie ohne Rechtsgrundlage in unverhältnismäßiger Weise in die Grundrechte des Veranstalters ein.

Die Kammer hatte auch moniert, die Vorträge rückten zu sehr die Pharmakotherapie in den Vordergrund und klammerten andere Therapien und Aspekte (alternative Heilmethoden, Morbidität, Lebensqualität etc.) aus. Der Fortbildungsordnung lasse sich jedoch keine solche „Vielfaltsanforderung“ entnehmen, befand das VG. Es sei Sache des Veranstalters, ob er sich auf Arzneimitteltherapien konzentriere. Die Empfehlungen der Bundesärztekammer, aus denen sich eine „Vielfaltsanforderung“ allenfalls entnehmen lasse, seien nicht verbindlich. Insoweit fehle es an klaren relevanten Normen.

Bezüglich der Gestaltung der Vorträge verweist das Gericht darauf, dass die Beweislast bei der Kammer liegt. Würden Fortbildungsinhalte ökonomischen Interessen Dritter untergeordnet, wäre die Anerkennung zu versagen. Allein der Umstand, dass via Sponsoring wirtschaftliche Interessen im Spiel seien, reiche aber nicht aus. Denn die Zuhörer könnten zwischen Produktwerbung und seriösen Fortbildungsinhalten unterscheiden. Zudem würde sich der Anbieter mittelfristig selbst zugrunde richten, wenn er sich mit plumper Produktwerbung unglaubwürdig mache.

Interessenskonflikte der Referenten waren den Vorträgen zu entnehmen. Es gebe keine Satzungsregelung, wonach eine solche Erklärung zwingend über Formulare der Kammer zu erfolgen habe.

Die Kammer kommentiert das nicht; zu laufenden Verfahren gebe man keine Stellungnahmen ab.

Medical-Tribune-Bericht
Quelle: VG Hamburg, Urt. v. 20.9.2020, Az.: 17 K 1326/20.

aktualisiert am 11.01.2021 10:30 Uhr