Teilerfolg vor Bundesverfassungsgericht Sterbehilfe für einen Gefängnisinsassen?
Ein Gefängnisinsasse verbüßt zwei lebenslange Freiheitsstrafen und befindet sich seit 35 Jahren ununterbrochen in Haft. Er will Suizid begehen. Die Justizvollzugsanstalt gewährt es ihm jedoch nicht, sich die erforderlichen Medikamente zu verschaffen. Ist das rechtens? Der Fall beschäftigte nun das Bundesverfassungsgericht.
Der Insasse erklärte, er müsse davon ausgehen, im Gefängnis eines natürlichen Todes zu sterben – das sei keine Perspektive. Da ihm die Gerichte keine Resozialisierungsgebote in Form vollzugsöffnender Maßnahmen gewähren würden, sei er „bloßes Objekt staatlichen Handelns“. Dies verletze ihn in seiner Menschenwürde. Er nehme seine seit vielen Jahren perspektivlose Haftsituation als unerträgliches Leiden wahr.
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JVA obliegt Fürsorge für die Gefangenen
Der psychologische Dienst habe ihn regelmäßig zu seinen Selbsttötungsabsichten befragt und für nicht suizidgefährdet gehalten, so der Häftling. Es liege keine vorübergehende psychische Situation vor. Die JVA beantragte, den Antrag zurückzuweisen. Sie könne Suizidhilfe nicht gewähren, da ihr die Gesundheitsfürsorge für die Gefangenen obliege. Diese begründe eine Garantenstellung. Es fehle an einer Rechtsgrundlage. Auch das Landgericht Kleve sah keine Grundlage für einen Anspruch des Insassen. Die JVA habe ausdrücklich mitgeteilt, zu keiner Mitwirkung bereit zu sein. Laut Bundesverfassungsgericht müsse der Suizidwillige es als eine von der Gewissensfreiheit geschützte Entscheidung hinnehmen, wenn ein Dritter nicht bereit sei, zu assistieren. Es bestehe kein Anspruch darauf, sich bei einer Selbsttötung des Gewissens eines Dritten zu bedienen, auch wenn es sich um einen Staatsdiener handele. Auch vor dem Oberlandesgericht Hamm hatte der Mann keinen Erfolg. Er wandte sich daher per Eilantrag an das Bundesverfassungsgericht. Er sei täglich einem unzumutbaren Leidensdruck ausgesetzt, sein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben werde ihm versagt und sein Leben bestehe nur noch in der Existenz der „staatlichen Leibeigenschaft“. Die Verfassungsrichter sahen eine Verletzung der Rechtsweggarantie nach Artikel 19, Absatz 4 des Grundgesetzes. Die Entscheidung des Landgerichts Kleve lasse eine ausreichende Aufklärung des Sachverhalts nicht erkennen. So sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Entscheidung auf einer Gewissensentscheidung beruhe, worauf diese sich genau beziehe und inwiefern dem Beschwerdeführer Perspektiven eröffnet worden seien, die seine grundrechtlich geschützten Belange wahren.Unklar, ob Amtsträger sich auf Gewissen berufen dürfen
Denn das Landgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob sich die Bediensteten der JVA als grundrechtsverpflichtete Amtsträger dem Beschwerdeführer gegenüber überhaupt auf eine Gewissensentscheidung berufen können. Dies habe es vielmehr ohne nähere Begründung angenommen. Es sei nicht auszuschließen, dass es bei hinreichender Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre. Die Kammer verweis den Fall zurück an das Landgericht.Quelle: Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 03.11.2021, Az.: 2 BvR 828/21