Telematik-Rollout: kein Boykott, aber vielleicht ein Stopp
Bisher sind laut KBV ca. 15.000 Praxen an die TI angeschlossen – „ausnahmslos Kunden des Marktführers für Praxisverwaltungssysteme“, so Dr. Kriedel. Die Hälfte der Praxen, die kein PVS der Compugroup haben, könne bislang „keine TI-Komponenten kaufen, geschweige denn installieren lassen“. Zwar kündigen weitere Hersteller ihr Kommen an. „Wie der Markt ab dem dritten Quartal 2018 tatsächlich aussehen wird, können wir aber nicht sagen“, gibt Dr. Kriedel zu.
Würde es bei den festgelegten Erstattungsbeträgen bleiben, würde jede Praxis ab dem dritten Quartal 2018 beim TI-Anschluss auf geschätzten 1200 Euro Kosten sitzen bleiben, da die Preise nicht wie erwartet sinken. Das würde den Rollout zum Erliegen bringen. Dr. Kriedel erwartet deshalb eine schnelle Einigung mit den Kassen. Die KBV hat auch das Schiedsamt angerufen.
Dr. Kriedel: eigenhändig Passus hinzufügen
Der offizielle Rat des KBV-Vorstands an die Ärzte und Psychotherapeuten lautet: Wer bei seinem Servicepartner die TI-Komponenten bestellt, soll eigenhändig einen Passus hinzufügen, dass er von der Bestellung zurücktritt, falls die TI-Finanzierungsvereinbarung die Kosten nicht deckt.
Der Erstattungsbetrag hängt vom Quartal ab, in dem das Versichertenstammdatenmanagement erstmals online erfolgt. Und das kann dauern – weshalb die KBV auch an Minister Jens Spahn appelliert, die im Gesetz vorgesehene Sanktion (1 % Honorarabzug) um ein halbes Jahr bis Mitte 2019 zu verschieben.
Das eigenhändige Ändern der AGB kommt allerdings bei manchem Anbieter nicht gut an. Diese Erfahrung machte die Vorsitzende der KBV-Vertreterversammlung, die bayerische Hausärztin Dr. Petra Reis-Berkowicz. Der Auftrag für ihre Praxis kam so nicht zustande. Dr. Kriedel sagt dazu: „Dann haben Sie es schwarz auf weiß und können das beweisen.“ Will sagen: „Niemand kann uns vorwerfen, wir würden den Rollout blockieren.“
Doch warum sollten Ärzte jetzt noch eine TI-Anbindung beauftragen, wenn sogar der Bundesgesundheitsminister öffentlich am Sinn der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) in ihrer jetzigen Form zweifelt? Wenn er es anders haben möchte, sollte er es schnell klar sagen, meint Dr. Kriedel. Sonst werde noch weiteres Geld verbrannt. Er gibt allerdings zu bedenken, dass ein Digitalisierungsprojekt, das neben der Krankenversicherung z.B. auch Finanz- und Einwohnmeldeämter einbinden soll, wohl noch schwieriger zu bewerkstelligen sei als das gematik-Projekt der eGK.
„KV-Connect Mobile“ als Alternative
Dabei empfiehlt sich KBV selbst als Problemlöser. So habe die gematik nichts für mobile TI-Anwendungen parat, sagt Dr. Kriedel. „Bis es soweit ist, entwickeln wir mit ,KV-Connect Mobile‘ eine Alternative“, kündigt er an. Damit könnten elektronische Arztbriefe direkt aus der Praxissoftware an mobile Endgeräte gesendet werden – und zwar Ende-zu-Ende verschlüsselt. Das erlaube es Ärzten untereinander sowie mit ihren NäPas und mit ihren Patienten sicher zu kommunizieren. „Softwareunternehmen können die Schnittstelle für Apps oder Gesundheitsakten kostenfrei einbinden“, verspricht der KBV-Vorstand.
Ein weiterer Schritt wäre die „Near field communication“, bei der eGK zwecks Verbindung einfach aufs Smartphone gelegt wird. „Die Kassen müssten die Karten dafür lediglich technisch erweitern“, erklärt Dr. Kriedel.
Standards für e-Impfpass oder e-Entlassbrief
Auch bei der elektronischen Patientenakte (ePA) will die KBV mitgestalten, nämlich beim Festlegen der Inhalte – und zwar am besten im Bundesmantelvertrag mit dem GKV-Spitzenverband. Dr. Kriedel erwartet, dass die gematik bis zum Jahresende die technische Spezifikation der ePA erarbeitet haben wird. Es müssten aber auch Standards für den Arztbrief, die bildgebenden Verfahren oder die Labordaten sowie Vorgaben für künftige Anwendungen wie den e-Impfpass oder e-Entlassbrief vereinbart werden. Das könne die KBV mit dem GKV-Spitzenverband tun. Der Gesetzgeber müsse ihr nur die primäre Kompetenz einräumen, die Standards an den Schnittstellen zu definieren. Wesentlich sei, dass die ePA revisionssicher ist. Außerdem soll dem Patienten der Zugriff ohne den Umweg des Zwei-Karten-Prinzips (eGK plus Arztausweis) möglich sein.
Zugestimmt hat die KBV-Vertreterversammlung in Erfurt einer fertigen KBV-Schnittstelle für den Wechsel der Arzneimittelverordnungssoftware nach § 291d SGB V. Sie wird den PVS-Anbietern kostenfrei zur Verfügung gestellt und soll die Ärzte von diesen unabhängiger machen, da das Verordnungsmodul dann separat gewählt bzw. ausgetauscht werden kann. Die Hersteller haben für die Umsetzung allerdings noch zwei Jahre Zeit. Die Hoffnung ist, dass so mehr Flexibilität in den PVS-Markt kommt und somit „kleine Gesetzesänderungen“ nicht gleich zu höheren Kosten für die IT-Nutzer führen, wie beim Medikationsplan geschehen.