Riskantes Spiel Über das Suchtrisiko weiß die Politik viel zu wenig
Wie der „Glücksspielatlas Deutschland 2023“ des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung, der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen und der Arbeitseinheit Glückspielforschung der Uni Bremen verdeutlicht, wird nur in wenigen Landtagsprogrammen das Glücksspiel mit all seinen Facetten thematisiert. Vorwiegend ist es ein Thema bei CDU und Grünen. Eine Novellierung des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV) 2021 brachte zwar einige Veränderungen, so wurden u.a. spielformübergreifende Spielersperren eingeführt. Das reicht aber nicht aus, um das problematische Glücksspiel deutlich einzudämmen. Einige Fakten aus dem Report:
- 30 % der Bürger nutzen Glücksspiele (2021). 10 % der Männer und 3 % der Frauen nahmen in den zwölf Monaten vor der Befragung an riskantem Glücksspiel teil.
- 2,3 % der Bevölkerung haben eine Glücksspielstörung – das sind etwa 1,3 Millionen Menschen.
44,1 Milliarden Euro machten die Deutschen 2022 als Spieleinsatz locker – in Erwartung eines mehr oder weniger großen Gewinns. Doch der Spielverlust betrug 93 %. Etwa jeder dreizehnte Glücksspieler entwickelt durch die Teilnahme an Automatenspielen, Sportwetten und anderen Glücksspielen gesundheitliche, finanzielle oder soziale Probleme. Das betrifft vor allem Männer, jüngere Menschen, Personen mit Migrationshintergrund oder Kinder aus suchtbelasteten Familien. Auch das verdeutlicht der Glücksspielatlas.
Sichtbare Lobbyarbeit der Glücksspielanbieter
Kritisch wird es bei Glücksspielsucht. Darunter wird eine exzessiv-destruktive Teilnahme am Glücksspiel verstanden, verbunden mit Kontrollverlust und der Einengung der allgemeinen Lebensführung auf die Spielaktivitäten und die Geldbeschaffung dafür. Neben dem Schaden für den Einzelnen entstehen Kosten bzw. Einbußen für die Volkswirtschaft, u.a. durch Arbeitsausfall oder Jobverlust sowie Auswirkungen auf Angehörige. Gerade Personen mit einem problematischen Glücksspielverhalten generieren einen Umsatzanteil von bis zu 76 %.
Das Suchtpotenzial der jeweiligen Glücksspielform beeinflusst die Höhe der externen sozialen Kosten. In Studien ist von mindestens 4,5 bis 7 Mrd. Euro Kosten für die Volkswirtschaft die Rede. Auf der anderen Seite kassierte der Staat 5,2 Mrd. Euro Steuern (2021).
Politische Entscheider geben sich bezüglich des GlüStV verhalten. Organisationen wie LobbyControl oder Abgeordnetenwatch hätten es neben finanzstarken Wirtschaftsverbänden schwer, ihre Standpunkte darzulegen, kritisieren die Autoren des Reports. Es gebe „eine sichtbare Lobbyarbeit der Glücksspielanbieter im gesellschaftspolitischen Kreis“.
Burkhard Blienert, Beauftragter der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, zeigt sich zufrieden, dass mit dem Glücksspielatlas 2023 zentrale Daten und Fakten gebündelt wurden. Dass Glücksspielangebote mit schnellen und teils hohen Geldgewinnen locken, sei hinlänglich bekannt. Aber wie hoch das Suchtrisiko wirklich ist, und zwar schon ab dem ersten Spiel, das wisse kaum jemand, auch nicht in der Politik. Der Report biete eine gute Grundlage für die Diskussion über den richtigen Umgang mit dem Glücksspiel und dessen Folgen.
Ein großes Problem ist aus Expertensicht, dass mindestens 40.000 bis 50.000 illegale Geräte in Hinterzimmern, Nebenzimmern, dunklen Ecken von Bars, vermeintlich gastronomischen Betrieben, ja selbst in Kiosken und „Spätis“ stehen, wo auch Jugendliche oft schutzlos und mit Schuldenrisiko zocken können. Bei der Bekämpfung des illegalen Spiels bedürfe es einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Gesetzgeber und Vollzugsbehörden.