Klimawandel „Unsere Hilfen sind nur ein Pflaster“

Gesundheitspolitik Interview Autor: Cornelia Kolbeck

Dr. Michael Brinkmann 2022 im Einsatz in Pakistan. Dr. Michael Brinkmann 2022 im Einsatz in Pakistan. © privat

Die Ziele der 27 an der Klimakonferenz in Scharm El-Scheich teilnehmenden Staaten sind vage. Hausarzt Dr. Michael Brinkmann ist enttäuscht, denn er erlebte viele Auswirkungen der Klimaveränderung live. 

Sie sind seit vielen Jahren bei humanitären Einsätzen unterwegs, meist mit der Hilfsorganisation Humedica. Was waren die Anlässe?

Dr. Michael Brinkmann: Inzwischen sind es 18 Einsätze geworden. Nach dem ersten 1991 während des Golfkrieges folgten weitere humanitäre Arbeiten in anderen Krisen- und Kriegsgebieten wie in Ruanda – während des Genozids –, Somalia und im Kosovo. Die meisten Einsätze waren jedoch wegen Naturkatastrophen notwendig. So habe ich unter anderem in Nepal, Haiti und Pakistan nach Erdbeben sowie auf den Philippinen nach einem Taifun gearbeitet. 

Die Klimaveränderung ist inzwischen unübersehbar. Was sind Ihre konkreten Wahrnehmungen vor Ort?

Dr. Brinkmann: Schon 2007 im Süden Nepals waren deutliche Anzeichen für den Klimawandel spürbar. Eine merklich verlängerte Schneeschmelze im Himalaya fiel in einen früher einsetzenden Monsun. Das bedeutete deutlich mehr Wasser in kurzer Zeit. Das südliche Nepal wurde komplett überflutet. Dies war für die dort lebenden Menschen außergewöhnlich. Die schrecklichen Eindrücke von damals gleichen denen, die ich jetzt in Pakistan erleben musste.

Es sind meist ärmere Länder von schweren Naturkatastrophen betroffen. Sind die Auswirkungen in  diesen Regionen vergleichbar? 

Dr. Brinkmann: Ja. Einsätze erfolgen häufiger in Ländern des globalen Südens. Naturkatastrophen treffen dort auf eine eher schlechte Infra-und Sozialstruktur. Im Grunde sind die dadurch ausgelösten Probleme vergleichbar, trotz unterschiedlicher kultureller und wirtschaftlicher Bedingungen. Schon im normalen Leben der Menschen ist die Gesundheitsversorgung eher nicht ausreichend, der Zugang zu Bildung nicht für alle möglich und die gesellschaftlichen Strukturen sind instabil, sodass sich Probleme in solchen Krisenzeiten potenzieren. 

Wenn Sie über Jahrzehnte diese Probleme sehen, kommt da nicht Verzweiflung auf? 

Dr. Brinkmann: Das ist eine Diskussion, die wir in jedem Team immer wieder führen. Wir wissen, dass wir der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein sind. Es gibt immer Frustration, die man ein Stück weit nach Hause mitnimmt – weil eben noch viel zurückbleibt. Aber das hat bei mir auch über die vielen Jahre die Wahrnehmung verändert, Denn viele Tropfen können den heißen Stein abkühlen – im Sinne eines positiven Impulses. 

Wir sahen die akute Lungenentzündung und die akute Tuberkulose, die Malaria. Wir sahen aber auch den Ernährungszustand der Kinder. Wenn ein mangelernährtes Kind mit einer Lungenentzündung vorgestellt wurde, ist anzunehmen, dass die übrigen Geschwis­ter ebenfalls unterernährt sind. Wir reichten die Daten dieser Familien an die lokale Organisation, mit der wir zusammenarbeiteten, weiter. So kann sich mit unserer Hilfe ein Screening- und Vorsorgeinstrument entwickeln, das hilft, dass diese Familien in den Dörfern zusätzliche Nahrung bekommen oder dass mehr Polio-Impfungen durchgeführt werden. So konnten wir die Programme wenigstens anschieben.  

Was lässt sich gegen Klimakata­strophen tatsächlich tun? 

Dr. Brinkmann: Wir helfen bei Katastrophen, die theoretisch nicht hätten stattfinden müssen. Wir müssen uns als Gesamtheit unsere Verantwortung für Maßnahmen gegen den Klimawandel immer wieder bewusst machen und alle gemeinsam unser Verhalten zum Klimaschutz ändern. Vor allem wir im Norden müssen raus aus dem Wohlfühlbereich: 1,5 Grad geringerer Temperatur­anstieg für die Welt heißt für uns 19 Grad im Wohnzimmer. Es sind unpopuläre Maßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen nötig, auch wenn das möglicherweise Wählerstimmen kostet. Das ist ein Prozess, den wir, glaube ich, jetzt anfangen müssen umzusetzen. Die Entscheidungsträger müssen an einen Tisch und ohne Streit um Parteienpolitik dieses Thema unbedingt angehen.

Wenn Sie mit Ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen über Veränderungsnotwendigkeiten reden, geht das in dieselbe Richtung? 

Dr. Brinkmann: Ich denke, wir im Gesundheitsbereich Tätigen haben eine besondere Verantwortung – neben der medizinischen Arbeit. Wir müssen aufklärend und in Vorbildfunktion tätig sein. Wir haben individuellen Zugang zu den Menschen, die zu uns kommen, und führen 1:1-Gespräche. Und wir haben Zugang zu Medien und wissenschaftlichen Informationen im Gesundheitssektor. Alle im Gesundheitsbereich Arbeitenden müssen klimabezogen tätig werden und Druck auf die Gesellschaft und Entscheidungsträger*innen aus­üben. Wir dürfen nicht nur auf unsere nächste Abrechnung schauen, sondern die Verantwortung, die wir in dieser Gesellschaft haben, ernst nehmen.

Nun sind ja die jungen Menschen mittlerweile sehr Klima-affin. Ist das auch so bei Ihren älteren Kolleginnen und Kollegen? 

Dr. Brinkmann: Bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen, auch bei den Studierenden, ist die Sensibilität tatsächlich deutlich höher. Ich bin auch Dozent an der Uni Bonn im Bereich Hausarztmedizin und  habe dort kürzlich einen Vortrag über Pakistan und meine Einsätze gehalten. Die Studierenden waren sehr interessiert und es wurde lebhaft diskutiert. Es wäre zu überlegen, ob nicht alle Medizinstudierende an Seminaren zu „Medizin in Kriegs- und Krisengebieten“ teilnehmen sollten. 

Und selbstverständlich werden diese Diskussionen quer durch alle Altersgruppen im Kollegen*innen-Kreis geführt. Der Klimawandel betrifft besonders die Generation unserer Kinder und Enkel. Also jene, welche die Konsequenzen aus unserem heutigen Nichthandeln später erleben müssen.

Deutschland zahlt viel für humanitäre Unterstützung. Haben Sie das schon konkret bei Ihren Einsätzen wahrgenommen? 

Dr. Brinkmann: Humedica unterstützt seit 20 Jahren Trinkwasserprojekte in verschiedenen Regionen in Pakistan. Die technischen Anlagen und die großen Regenwasser­becken wurden auch mit staatlichem deutschen Geld bezahlt. Geplant ist aktuell nach der Flut, die Häuser – zuerst die Gesundheitsstationen – auf Betonsockel zu setzen, damit bei einer nächsten – leider zu erwartenden – Überflutung nicht wieder alles zerstört wird. 

Das sind Themen, die ich ebenfalls vor Medizinstudierenden anspreche, um sie für die Klimaproblematik zu sensibilisieren. Solche Projekte sind aber nur Pflaster. Sie sind sicher sehr wichtig, aber die Ursachen werden nicht grundsätzlich beseitigt. 

Was hätten Sie sich denn gewünscht als Ergebnis der Klimakonferenz von Scharm El-Scheich? 

Dr. Brinkmann: Ich habe erwartet, dass sich Teilnehmerstaaten ganz klar und eindeutig für einen zügigen Ausstieg aus fossilen Energien positionieren!

Diese konkreten Planungen der Staatengemeinschaft sind in der aktuellen COP27-Vereinbarung nicht vorhanden. Unser Team hat die Konferenz während des Einsatzes in Pakistan gemeinsam mit den einheimischen Mitarbeiter*innen und Dorfbewohner*innen verfolgt. Wir stellten uns die Frage, ob sich die Personen, die bei Klimakonferenzen in Luxushotels tagen und Entscheidungen treffen, tatsächlich über die unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels für die Menschen in den betroffenen Regionen bewusst sind. Vielleicht sollten die Teilnehmer*innen uns einmal zwei Tage bei humanitären Hilfseinsätzen begleiten!

Medical-Tribune-Interview