Klimawandel, Pandemien, Krisen Sachverständige mahnen zur Vorbereitung

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Klimaveränderungen sind längst deutlich spürbar. Strategien im Umgang damit fehlen vielfach. Klimaveränderungen sind längst deutlich spürbar. Strategien im Umgang damit fehlen vielfach. © Fotoschlick – stock.adobe.com

Wie lässt sich unser Gesundheitssystem, das bereits an manche Versorgungsgrenze stößt, so umgestalten, dass es besser gerüstet für Krisenlagen ist? Der Sachverständigenrat Gesundheit hat für diese Resilienz Vorschläge gemacht. Die beziehen sich auch auf Hausärzte.

„Das hat von uns in dieser Form noch keiner erlebt“, sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrates Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach, „SARS-CoV-2-Pandemie, Krieg in Europa, Hochwasser, Waldbrände und Hitzewellen als Folgen des Klimawandels, unterbrochene Lieferketten, Energieknappheit.“ Daraus seien Schlüsse zu ziehen – für einzelne Bereiche und für die Vorbereitung auf Krisen insgesamt.

Selbstwahrnehmung des Systems ist trügerisch

„Die deutsche Selbstwahrnehmung ist, dass alles gut organisiert ist und wir mit einem ausdifferenzierten Rettungs- und Gesundheitssystem bestens auf unvorhergesehene Entwicklungen vorbereitet sind“, so der Professor für Allgemeinmedizin. Das sei aber trügerisch. Das Gesundheitssystem sei bei genauer Betrachtung ein behäbiges Schönwettersystem, das u.a. an einer unzulänglichen Digitalisierung und einem formaljuristischen Leerlauf des Datenschutzverständnisses leide.

Weder auf die Folgen des Klimawandels noch auf Pandemien ist laut Sachverständigenrat unser Gesundheitssystem ausreichend vorbereitet – und schon gar nicht auf noch unbekannte Herausforderungen. Auf 600 Gutachtenseiten haben die Wissenschaftler deshalb Wege zur Stärkung der Resilienz beschrieben, unterteilt in Krisenvorbereitung und -bewältigung. Der Blick wird auf einzelne Bereiche im Gesundheitswesen gerichtet – auf Krankenhäuser, Pflege, Akutversorgung, Öffentlicher Gesundheitsdienst – sowie auf Probleme bei Lieferketten, wissenschaftlicher Politikberatung und Krisenkommunikation. 

Zu den zu stärkenden Bereichen gehört demnach die hausärztliche Versorgung. Der Rat empfiehlt u.a. eine obligatorische Registrierung der Bürger bei einem Hausarzt. „Einschreibesysteme sind in zahlreichen europäischen Nachbarländern seit Langem üblich, stabilisieren eine sinnvoll gestufte gesundheitliche Versorgung und haben sich bestens bewährt“, betont Prof. Gerlach gegenüber Medical Tribune. „Nur so wissen Praxen zum Beispiel, welche Patienten definitiv zu ihnen gehören, und können so aktiv etwa auf Hochrisikopatienten, die zuerst geimpft werden müssen, zugehen.“ Dass sich Versicherte bei einer Hausarztpraxis registrieren sollen, sei in § 76 Abs. 3 SGB V bereits vorgesehen.

Prof. Gerlach geht davon aus, dass Patienten idealerweise in der elektronischen Patientenakte eine Hausarztpraxis angeben können: „Die Wahlfreiheit bleibt dabei bestehen.“ Die Registrierung eröffne aber die Möglichkeit, einen bevölkerungsweiten und künftig auch weitgehend zuverlässigen Kommunikationskanal zu nutzen, um Versicherte während einer Gesundheitskrise informieren und die Versorgung koordinieren zu können. Sofern eine rechtliche Grundlage dafür – etwa in einem kommenden Versorgungsgesetz – geschaffen würde, könnte ein solches Einschreibesystem in wenigen Jahren schrittweise eingeführt werden. 

Größere Anreize für die HzV-Teilnahme empfohlen

Mehrfach schon hat sich der Rat für das Hausarztprinzip ausgesprochen, so auch im aktuellen Gutachten. Sowohl im Sinne einer konsequenten Gesundheitsförderung und Prävention als auch zur Vorbereitung ambulanter Strukturen auf künftige Krisen solle dieses Prinzip gestärkt und internationalen Vorbildern folgend verbessert werden. Dazu sollte die Teilnahme an einem Hausarztsystem für Versicherte wie Ärzte mit größeren Anreizen verbunden werden. 

„In England ist die Registrierung zwar formell nicht verpflichtend, dennoch sind 100 % der Bevölkerung in einer Hausarztpraxis eingeschrieben, weil der Zugang zur Primär- und Sekundärversorgung andernfalls verwehrt wird“, heißt es im Gutachten. Verwiesen wird darauf, dass in einigen Staaten die Vergütung der Haus­ärzte teilweise davon abhängt, wie viele Personen bei ihnen registriert bzw. eingeschrieben sind. So mache der Anteil der Kopfpauschalen für eingeschriebene Personen in Dänemark und Norwegen 30 % bis 35 %, in den Niederlanden 42 %, in Italien 70 % und in England rund 90 % des Einkommens aus. Viele europäische Nachbarstaaten hätten zugleich Systeme zur Qualitätsförderung, so der Rat.

Dass Hausarztpraxen nur noch an vier Tagen öffnen könnten, wie von Ärzteverbänden vorgeschlagen, bezeichnet Prof. Gerlach übrigens als eine „inhaltlich kontraproduktive und in der Öffentlichkeit schwer vermittelbare Drohung“ angesichts dringend notwendiger Reformen zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der gesundheitlichen Versorgung. Auch mit Blick auf die Sicherstellungsverpflichtung werde damit ein falsches Signal gesetzt. 

Medical-Tribune-Bericht