Arzneilieferengpässe Vertrauen wieder aufbauen

Gesundheitspolitik DGIM 2024 Autor: Michael Reischmann

Um das Horten von Medikamenten zukünftig zu vermeiden, will das BfArM für mehr Transparenz sorgen. Um das Horten von Medikamenten zukünftig zu vermeiden, will das BfArM für mehr Transparenz sorgen. © guteksk7 – stock.adobe.com

Mit einem Frühwarnsystem und abstimmten Gegenmaßnahmen will das BfArM Lieferengpässe bei relevanten Arzneien beheben. Wichtig ist ihm, dass das Vertrauen der Patienten in eine stabile Versorgung bewahrt bleibt. 

Mehrfach hat der Gesetzgeber in den letzten Jahren das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit weiteren Befugnissen und Instrumenten ausgestattet, damit Arzneimittellieferprobleme rechtzeitig erkannt, vermieden und zügig behoben werden können. BfArM-Präsident Prof. Dr. Karl Broich sieht sein Haus heute gut aufgestellt. Technischer Fortschritt (KI), ein europäisches Vorgehen und neue finanzielle Anreize für die Industrie wirken unterstützend.

Seit 2020 hat das Amt eine stärkere Legitimierung, in den Markt einzugreifen. Während man sich vorher „im Blindflug“ befand, kann das BfArM nun Produktions- und Lagerdaten bei pharmazeutischen Unternehmen und Großhandel abfragen, seit 2023 auch bei Krankenhäusern und Apotheken, die Kliniken versorgen. Neben dem Aufbau eines Frühwarnsystems seit 2023 setzt die Bonner Behörde insbesondere auf das „Tagesgeschäft“ mit ihrem Beirat, in dem Vertreter von BfArM und betroffenen Fachkreisen, die Lage sachlich diskutieren. Es sei wichtig, dass die Stakeholder gemeinsam an einem Strang ziehen, sagt Prof Broich. Es gebe nicht die eine Lösung für alle Lieferprobleme. 

Wenn Warnungen zum Hamstereffekt führen

Können Hersteller ihre Kapazitäten nicht hochfahren, erstellen ggf. Fachgesellschaften Empfehlungen für Behandlungsalternativen. Das BfArM kann beispielsweise Kontingentierungen veranlassen, damit ein knappes Arzneimittel nach Bedarf regional umverteilt wird. Oder es gestattet, Ware ohne deutsche Texte aus anderen europäischen Ländern einzuführen. 

Etwa 500 Produkte mit Lieferproblemen sind laut Prof. Broich derzeit beim BfArM gelistet. Deren Fehlen führt zu Mehraufwand bei Ärzten, Apotheken und Patienten. Doch vielfach gibt es Alternativen, sodass kein Versorgungsproblem auftritt.

Falls sich allerdings Fachgesellschaften, Kliniker oder Niedergelassene schwarzmalend an Boulevardmedien wenden, brauche man sich nicht wundern, wenn Patienten aus Angst anfangen, Medikamente zu horten und damit den Mangel verschärfen, warnt Prof. Broich. 

So habe es 2023 keinen generellen Antibiotikamangel in Deutschland gegeben, allerdings regional extreme Unterschiede. „Da war unterschiedlich vorgesorgt worden“, erklärt der BfArM-Chef. „Hier wollen wir mehr Transparenz reinbringen.“ Die Kommunikation mit Fachkreisen und Öffentlichkeit hält er für elementar. Die Daueraufgabe bestehe im Wiederherstellen von Vertrauen.

„Im Nachhinein ist man immer schlauer“, sagt der Arzt in Erinnerung an die Engpässe bei Tamoxifen. Die Warnzeichen hätte man früher erkennen können. Wenn nur noch zwei Hersteller am Markt sind, von denen einer ausfällt, überfordert die Nachfrage schnell den zweiten. 

130. DGIM-Kongress: Was bringen Geheimpreise für Industrie und Kostenträger?

Den Segen des Bundeskabinetts hat der Entwurf des Medizinforschungsgesetzes längst. „Es stärkt den Forschungsstandort und fördert Wachstum und Beschäftigung“, verspricht der Bundesgesundheitsminister. Umstritten ist jedoch die geplante Regelung, dass der von Hersteller und Krankenkassen verhandelte Erstattungsbetrag für ein neues Arzneimittel nicht mehr öffentlich gelistet werden soll.

GKV-Vertreter kritisieren die „Geheimpreise“. Den Pharmaunternehmen eröffne das Spielräume, die Kosten nach oben zu treiben – ohne Mehrwert für die Versorgung. Ärzte könnten bei der Arzneiverordnung mangels Transparenz nicht mehr wirtschaftlich vorgehen. Aufwendige Auskunfts- und zusätzliche Abrechnungsverfahren sorgten für mehr Bürokratie. Der Bundestag soll deshalb diesen Plan stoppen, verlangen Kassenverbände.

Dr. Matthias Meergans, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung beim Verband der forschenden Arzneimittelhersteller, hängt die Geheimpreise tief. Für den vfa seien sie „kein großes Thema“, da sie voraussichtlich nur Einzelfälle betreffen würden.

Dem widerspricht die Züricher Wissenschaftlerin Prof. Dr. iur. Dr. med. Kerstin Noëlle Vokinger. Auch die Schweiz ringt mit der Kosteneffektivität der steigenden Arzneiausgaben. Dort gibt es Geheimpreise schon länger. Seien es anfangs nur Einzelfälle gewesen, bleibe es faktisch nicht dabei.

Diese Intransparenz kann sich auch auf andere Länder auswirken, zum Beispiel wenn die deutschen Preise nicht mehr als Referenz dienen können. Dabei ergab eine Untersuchung von Prof. Vokinger und Kollegen für die USA und Europa, dass nur etwa jedem dritten neuen Arzneimittel ein hoher therapeutischer Wert zugesprochen wurde. Auch bei der beschleunigten Zulassung von Arzneien ohne Evidenznachweis notiert sie „cave“.

Engpässe betreffen keine Innovationen, sondern generische Produkte. Dr. Broich erklärt dies auch mit geringen Margen, die eine hiesige Produktion unattraktiv gemacht hätten. Fallen dann Kapazitäten bei den wenigen Herstellern in China und Indien aus oder sind die Vertriebswege gestört, wird es eng in Europa. Letztlich treffe es Länder wie Rumänien, Bulgarien, Malta oder Zypern, weil sie noch geringere Preise als Deutschland zahlten, so der Behördenleiter. Hier soll ein europäischer Solidaritätsmechanismus bei Engpässen für Ausgleich sorgen.

Diversifizierung vermindert die Ausfallrisiken

Allerdings glaubt auch der BfArM-Chef nicht, dass es politisch gelingen wird, die Produktion notwendiger Grundstoffe oder Generika in großem Stil nach Deutschland zurückzuholen. Es gehe bei den Preisanreizen und Entlastungen darum, europäische Anlagen zu erhalten. „Wichtig ist, dass wir eine Diversifizierung hinbekommen – weg von den Monopolen in der Produktion.“ 

Im Auge behält das BfArM versorgungskritische Arzneimittel, deren Fehlen für Menschen mit schweren Erkrankungen lebensbedrohlich wäre. Auch die Zahl der verfügbaren Alternativen spielt eine Rolle. Hier sei „Pragmatismus gefordert“, meint der Behördenleiter. „Was können wir bewältigen? Was können wir bewirken?“ Als das BfArM erstmals eine Liste für Deutschland machen wollte und die Fachgesellschaften fragte, welche Arzneimittel relevant sind, seien über 800 genannt worden. „Das nachzuverfolgen, wäre ein bürokratisches Monster.“ 

Es würden immer mehr Daten fürs Frühwarnsystem nutzbar gemacht und auch KI werde eingesetzt, erzählt Prof. Broich. Doch das sei nicht vergleichbar mit dem, was im überschaubaren Dänemark läuft, „wo sie wissen, in welchem Krankenhaus und welcher Apotheke was liegt“.  Die Dänen haben „ein komplett durchdigitalisiertes Gesundheitssystem und totale Transparenz – da kann man sehr gut steuern“.

Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin