Vom gesunden Schlaf zum päpstlichen Konklave
Schulteroperationen führen nicht immer zum Ziel.“ Unter dieser Überschrift las ich vor einigen Tagen einen Artikel, in dem eine britische Studie zitiert wird. Sie besagt, dass die Differenzialdiagnostik der Schultererkrankungen wichtig ist und ein wesentliches Kriterium für die Erfolgsaussichten einer operativen Therapie. Soweit für einen Allgemeinmediziner nichts Neues. Interessant war daran, dass ich den Artikel nicht in einer der bekannten „Klatsch- und Tratsch-Zeitschriften“ oder in einem der seriöseren Wochenmagazine fand, sondern in unserer lokalen Tageszeitung. Und zwar als Hauptartikel auf Seite 1. Im Politik-Teil!
Es war die Zeit der sog. Jamaika-Sondierungs-Gespräche. Da hätte es doch an aktuellen politischen Kommentaren, Ausblicken und Spekulationen nicht fehlen können. Aber vielleicht war dem Redakteur seine Schulter näher als die langweiligen sich ständig wiederholenden Statements der politischen Chef-Verhandler?
Am Tag, nachdem die Sondierungsgespräche abgebrochen waren, las ich auf Seite 1 unseres Tagblatts: „Schlechter Schlaf gefährdet die Gesundheit“. Ach nee! Das ist ja nun wirklich keine Sensationsmeldung. Und um nicht den Zusammenhang zur Tagespolitik komplett zu verlieren, stand darunter ein kürzerer Artikel, in dem spekuliert wurde, ob der FDP-Chef Christian Lindner aufgrund der vielen langen Sitzungen und seiner Belastung schlecht geschlafen und deswegen die Verhandlungen für beendet erklärt hätte. Danach folgte die in diesen Tagen in jedem Nachrichtenmagazin und in jeder politischen Sendung übliche Schuldzuweisung an die Partei und ihren Vorsitzenden.
Also Ende der Verhandlungen, weil der Mann endlich mal wieder in seinem Bett ruhig schlafen wollte? Wohl eher nicht, denn Herr Lindner war ja einer der jüngeren Teilnehmer der Runde und wird den Schlafmangel wahrscheinlich besser verkraftet haben als die älteren Politiker. Allerdings kompensieren diese den Schlafentzug häufiger mit einem Nickerchen zwischendurch. Bei offiziellen Veranstaltungen habe ich öfters beobachtet, wie erfahrene alte Politiker bei Angelegenheiten, die sie nicht interessierten, einen sicher sehr gesunden Kurzschlaf hielten. Ich bewundere das. Diese Gabe wurde mit nicht geschenkt.
Wahrscheinlich sind die älteren und erfahreneren Jamaika-Chefverhandler immer wieder bei in ihren Augen uninteressanten Themen in Kurzschlaf gefallen. Und wahrscheinlich hat Herr Lindner sich resignierend in der schlafenden Runde umgeblickt und dann auf den Tisch gehauen. Wieder aufgewacht waren alle furchtbar erschrocken!
Doch genug meiner blühenden Phantasie: Warum bewegt uns ein Gesundheitsthema so sehr, dass es wichtiger erscheint als die neuesten politischen Entwicklungen? Warum lesen wir einen undifferenzierten Artikel über Schulterprobleme lieber als uns Gedanken um die Zukunft unseres Landes zu machen? Warum lesen wir lieber etwas über gesunde Ernährung als Hauptthema, während der IS versucht, die westliche Welt in Schutt und Asche zu legen? Liegt es an der älter werdenden Gesellschaft? Ist die Welt um uns herum so schrecklich, dass wir uns auf unseren Körper und dessen Zustand zurückziehen müssen? Ich weiß es nicht.
Was die Sondierungsgespräche betrifft, bin ich mit einer Freundin auf eine gute Lösung gekommen. Wir sollten uns ein Beispiel am Vatikan und der Papstwahl nehmen: die Türen der Verhandlungsräume werden verschlossen, alle Unterhändler müssen bis zum Erreichen eines Ergebnisses drin bleiben, keine Kontakte zur Öffentlichkeit. Der einzige Rauch, den die Verhandler produzieren dürfen, ist schwarz oder weiss. Ich bin sicher, wir hätten schon seit Wochen eine Bundesregierung.