Von vermeintlichen und echten Handy-Risiken
Um ein Haar hätte ich sie überfahren! Die junge Frau, die mir vors Auto lief, war mit dem Handy am Ohr derart in ihr Telefonat vertieft, dass sie beim plötzlichen Betreten der Fahrbahn kein Auge für die nahende Gefahr mehr hatte. Immer häufiger sind in letzter Zeit derartige Szenen zu beobachten. Übertrieben intensiver Gebrauch des Mobiltelefons kann also durchaus lebensgefährlich sein. Zum gleichen Schluss kam unlängst ein Gericht in Italien – allerdings vor einem ganz anderen Hintergrund. Das Urteil der Juristen stellt einen Zusammenhang zwischen exzessiver Handynutzung und einem Tumor her und hat lebhafte Diskussionen ausgelöst.
"Tumor durchs Handy am Ohr? Juristen wissen da scheinbar mehr als Wissenschaftler"
Geklagt hatte der 57-jährige Roberto Romeo, der als Angestellter der italienischen Telekom dienstlich regelmäßig mit einem Handy telefonierte. Wenn irgendwo eine Leitung unterbrochen war oder ein Anschluss nicht funktionierte, wurde er geschickt. Wichtigstes Kommunikationsmittel: das „Cellulare“, das er drei bis vier Stunden täglich am Ohr hatte − ohne externen Kopfhörer, ohne Freisprecheinrichtung. 15 Jahre ging das so, bis Romeo eines Tages feststellte, dass er nicht mehr so gut hörte.
Bei einer Untersuchung stellte sich heraus, dass ein gutartiger Tumor auf das Gehör drückte. Das Arbeitsgericht im norditalienischen Ivrea hat diese Erkrankung nun auf die permanente Benutzung des Mobiltelefons zurückgeführt und die gesetzliche Unfallversicherung zu einer Rentenzahlung an Romeo verurteilt. Er erhält monatlich 500 Euro, da sein Hörvermögen dauerhaft eingeschränkt ist.
Die Wissenschaft ist erwartungsgemäß empört. Die Gesamtheit der Studien zu diesem Thema erlaube weder die Schlussfolgerung, dass Mobiltelefone krebserregend seien, noch, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Gebrauch eines Mobiltelefons und dem Ausbruch eines Hirntumors oder anderer Tumoren gebe. Der Physiker Michael Repacholi von der römischen Universität La Sapienza, der ein großes Projekt der WHO zu elektromagnetischen Feldern koordinierte, kommentiert das Urteil denn auch mit Unverständnis. Die italienischen Gerichte bemühten sich zu wenig darum, anerkannte Experten als Gutachter heranzuziehen, das Urteil basiere deshalb nicht auf dem Stand der Wissenschaft, kritisiert er.
"Beim Überqueren der Straße aufpassen – das wäre schon mal ein Anfang"
Endgültige Entwarnung können wohl nur Langzeitstudien geben. Beruhigend ist jedoch, dass die Rate dieser Tumoren in den letzten Jahrzehnten nicht angestiegen ist – ganz im Gegensatz zur Nutzung von Handys. Bis wirklich valide Ergebnisse vorliegen, werden wir dem Thema wohl mit Vorsicht begegnen müssen. Das passende Schlusswort soll an dieser Stelle daher dem eingangs erwähnten Roberto Romeo vorbehalten bleiben. Er sagte nach Verkündung des Gerichtsurteils, er wolle das Telefonieren mit dem Handy nicht verteufeln, die Nutzer sollten sich aber mehr Gedanken über die damit verbundenen Risiken machen. Das würde ich auch jenen Zeitgenossen empfehlen, die künftig vor meinem Auto die Straße überqueren wollen …