Evidenzlücken Anwendungsbegleitende Datenerhebung scheitert an Fallzahl-Differenzen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Trotz bedingter Zulassung von Talquetamab fordert der G-BA zusätzliche Daten aufgrund unzureichender Evidenz. Trotz bedingter Zulassung von Talquetamab fordert der G-BA zusätzliche Daten aufgrund unzureichender Evidenz. © PRIM – stock.adobe.com

Wenn bei der Zulassung eines Arzneimittels Evidenzlücken bestehen, kann eine anwendungsbegleitende Datenerhebung Abhilfe schaffen. Vorausgesetzt, es gibt ausreichend Patientinnen und Patienten.  

Da die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) die Entwicklung von Arzneimitteln, die einen ungedeckten medizinischen Bedarf decken, unterstützt, erhielt auch der Wirkstoff Talquetamab trotz weniger umfassender Daten als normalerweise bei Zulassung im August 2023 eine bedingte Marktzulassung. Talquetamab ist der zweite in der Europäischen Union zugelassene bispezifische Antikörper zur Therapie des rezidivierten/refraktären Multiplen Myeloms. „Aufgrund der hohen Expression von GPRC5D auf Multiplen Myelomzellen bietet sich dieses Antigen als geeignetes Ziel für eine zielgerichtete Therapie des Multiplen Myeloms an“, hieß es seitens der Fachgesellschaft DGHO. Vor der Zulassung von Talquetamab in der Therapie des Multiplen Myeloms hätten keine zugelassenen therapeutisch eingesetzten bispezifischen Antikörper, welche sich gegen GPRC5D richten, existiert. Und auch andere auf GPRC5D-abzielende Therapien, wie z. B. CAR-T-Zellen, seien nicht verfügbar gewesen. 

Im Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz ist seit 2010 geregelt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) per Nutzenbewertung prüft, ob neue Medikamente und Behandlungsverfahren wirksamer sind als herkömmliche. Am Ende wird ein erheblicher, beträchtlicher, geringer oder nicht quantifizierbarer Zusatznutzen attestiert bzw. kein belegbarer Zusatznutzen. Diese Einstufung ist die Grundlage für Preisverhandlungen zwischen pharmazeutischem Unternehmen und dem GKV-Spitzenverband. 

Sind die zur Nutzenbewertung nach § 35a SGB V vorliegenden Daten nicht aussagekräftig genug, wie bei einer bedingten Zulassung eines neuen Arzneimittels, kann der G-BA dem pU eine anwendungsbegleitende Datenerhebung auferlegen. So geschehen 2023 im Fall von Talquetamab. Der G-BA sah in der Monotherapie lediglich einen Anhaltspunkt für einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen und forderte deshalb mehr Daten per AbD ein. Als Outcomeparameter wurden dem pU vorgegeben: Todesfälle, patientenberichtete Symptomatik, gesundheitsbezogene Lebensqualität, Nebenwirkungen (schwerwiegende unerwünschte Ereignisse sowie Abbruch wegen unerwünschter Ereignisse). Angedacht waren zur Beobachtung 24 Monate und bei Annahme einer Verteilung von 1:1 zwischen Interventions- und Vergleichsgruppe eine Fallzahl von etwas über 500 Teilnehmenden. 

AbD-Forderung außer Kraft gesetzt

Wie vom G-BA aktuell jedoch berichtet, wird es diese AbD nicht geben. Der entsprechende Forderungsbeschluss wurde im April außer Kraft gesetzt, da das Unternehmen keinen statistischen Analyseplan und kein Studienprotokoll in der vorgesehenen Frist eingereicht hat. Der pU hatte eine Fallzahlschätzung unter Berücksichtigung der in der patientenindividuellen Therapie aufgenommenen Komparatoren Ciltacabtagen autoleucel, Idecabtagen vicleucel, Teclistamab und Elranatamab vorgelegt und im Ergebnis mit einer Fallzahl von 3.448 Patientinnen und Patienten und einer dementsprechend langen AbD-Rekrutierungszeit von 10 Jahren argumentiert. 

Der G-BA will die vorgelegten Fallzahlen nicht abschließend beurteilen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, heißt es, dass sich auch niedrigere Fallzahlen ergeben könnten, die zu deutlich kürzeren Rekrutierungszeiten führen. Der Ausschuss verweist zudem auf die Möglichkeit der Verlängerung des Rekrutierungszeitraums, sollte sich beispielsweise nach Beginn der AbD herausstellen, dass eine höhere Fallzahl erforderlich ist als zunächst angenommen. 

Der Feststellungsbeschluss wird laut G-BA Grundlage für nachfolgende Preisverhandlungen zwischen GKV-Spitzenverband und pU Grundlage sein. Ein Erstattungsbetrag war bereits 2024 verhandelt worden. Auswirkungen des Außerkraftsetzens der Forderung einer AbD auf die Verhandlung des Erstattungsbetrags sind noch unklar.

Quelle:
Information des G-BA