Zwanghaft ist nicht klug
Wer einem Infizierten nahe war, bevor dieser selbst von seiner Infektion wusste, kann nachträglich darüber informiert werden. So lassen sich Infektionsketten unterbrechen. Eine Technik, die das leistet, nennt sich PEPP-PT und wurde gerade auf europäischer Ebene entwickelt. Sie soll in verschiedene Apps einzubauen sein. Damit die Idee funktioniert, müssen allerdings geschätzt 50 Millionen Bundesbürger eine solche App installieren. Das ist viel.
Jetzt tobt die Diskussion, wie sich das erreichen lässt. Die Positionen reichen von „Vertrauen und Solidarität als Motivationsbegründer“ und „Zwangsverpflichtung-sonst-keine-Lockerungen“. Irgendwo dazwischen liegt noch die „gezwungene Freiwilligkeit“, nämlich die Zwangseinspielung der App mit Opt-out-Möglichkeit.
Ein Smartphone, auf dem die App installiert ist, sendet kontinuierlich über Bluetooth eine ID-Nummer aus. Handys mit der gleichen App, die sich in der Nähe befinden, empfangen diese und senden gleichzeitig selbst. Jedes Handy speichert somit zwei Listen: eine mit ausgesendeten IDs und eine mit empfangenen. Wird ein Nutzer positiv getestet, kann er all jene, deren ID bei ihm gespeichert ist, informieren.
Interessant wird es im Detail: Lässt sich die ausgesendete ID zum Handynutzer zurückverfolgen oder wechselt sie, sodass keine Rückschlüsse auf Personen möglich sind? Gibt es eine zentrale Stelle, an der alle unsere Kontakte gespeichert werden, oder liegen die Daten nur auf dem Smartphone? Ist der Quellcode der App offen, sodass ihre Funktionen überprüfbar sind? Wird es Ausgangssperren und Einlassverbote bei Smartphonelosigkeit geben? (Oder vielleicht Punkte „in Wedding“, beim RKI?)
Dem Konzept einer solchen App wohnt ein enormes Risiko inne, sagt der Chaos Computer Club mit Blick auf Datenschutz und Privatspäre. Das ist wenig überraschend. Überraschend ist, dass jene beharrlichen Verteidiger der Privatsphäre auch sagen, dass es durchaus Konzepte und Technologien der Crypto- und Privacy-Community gebe, die eine solche App möglich machen, „ohne eine Privatsphären-Katastrophe zu schaffen.“ Es geht also.
Menschen zu etwas zu zwingen, dessen grundsätzliche Notwendigkeit erkannt wird, kommt einer Entmündigung gleich. Stattdessen muss es immer darum gehen, sinnvolle und nachvollziehbare Maßnahmen zu entwickeln. Und jene mitreden zu lassen, die sich für Bürgerrechte / Privatsphäre / ärztliche Obliegenschaften / Datenschutz einsetzen. Das gilt für Zwang-Apps genauso wie für Zwangsverpflichtungen von medizinischem Personal. Und by the way: auch für den Anschluss an die Telematik-Infrastruktur.
Anouschka Wasner
Redakteurin Gesundheitspolitik