Zwischen zarter Spitze und laienhaftem Tigertattoo

Kolumnen Autor: Dr. Frauke Höllering

Laut Dr. Höllering muss das Tattoo auh zum Charakter der Person passen. Laut Dr. Höllering muss das Tattoo auh zum Charakter der Person passen. © fotolia/belyjmishka

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Hautmalereien in den unterschiedlichsten Formen.

Friseure sind ja nicht nur für das Haupthaar unersetzlich, sondern auch als Unterhalter, wenn es um Themen wie Gott und die Welt geht. Als ich dem Haarkünstler meines Vertrauens von meinem kürzlich erwachten Interesse für Brautkleider berichtete (was heute nicht Thema meiner Kolumne sein soll), gab er mir einen TV-Tipp: "Zwischen Tüll und Tränen" sei eine Sendung, die man wunderbar beim Bügeln montagnachmittags verfolgen könne. Da ich zu dieser Zeit nicht zu bügeln pflege, schaute ich mir an einem regnerischen, verbummelten Mittwoch in der Mediathek die eine oder andere Folge an.

Was das mit Medizin zu tun hat? Ich sage nur: Tattoos! Dicke und dünne, hübsche und hässliche Frauen lebten ihren Traum, einmal Prinzessin zu sein, im Kreise ihrer seufzenden Freundinnen in Wolken von Tüll aus. Zarte Corsagen, Perlen und Glitzer, zierliche Schleier und üppige Schleppen verwandelten die Bräute tatsächlich in Prinzessinnen. Aber wenn ich dachte, eine fette Fliege säße auf meinem Bildschirm, oder argwöhnte, eine missgünstige Nachbarin hätte die Braut mit Schmutz beworfen, so war dem keineswegs so.

»Ich dachte, eine fette Fliege säße auf meinem Bildschirm!«

Aus tiefen Rückenausschnitten quollen Motive aller Art in finsteren Farben. Da feixte ein fettes Tattoo, das ich beim besten Willen nicht identifizieren konnte, neben einer zarten Knopfleiste. Unter zarten Spitzenärmelchen lugten laienhaft gestochene Blumen und Tiere hervor, perlenbestickte Mieder wurden von gestümperten Haut-Motiven konterkariert. Von ihrem Erscheinungsbild verzauberte Frauen gaben ohne zu zögern 2000 € für ein Kleid aus, verfügten aber nicht über das Stilbewusstsein, ihre Tattoos gnädig mit Tüll zu verdecken. Kopfschüttelnd schaltete ich aus, das war nichts für mich!

Unendlich viele Hautmalereien habe ich in der Praxis schon gesehen. Von den berühmten Knasttränen bis zum selbst gestochenen Herzen, von kunstvollen, farbenfrohen Bildmalereien bis zum simplen A-Geweih. Gern gestochen werden auch chinesische Schriftzeichen. "Warum steht denn da‚ Persil bleibt Persil‘ auf Ihrem Rücken?", frage ich in solchen Fällen gerne mal und freue mich über die unterschiedlichen Reaktionen.

Auf dem Trash-TV-Trip angekommen, habe ich mir dann noch auf Sixx eine Folge der Serie "Horror-Tattoos" angeschaut. Sehenswert! Auch ich habe schon einige Patientinnen (auch Patienten) gehabt, die ihre Hautmalereien gerne losgeworden wären. Aber leider fragen sie erst dann um Rat und nicht, bevor sie gestochen werden. Sonst hätte ich von der Verzierung des schon alternden Derrières der Mittfünfzigerin abgeraten, auf die nachlassende Elastizität der Haut im Alter hingewiesen und, falls der Drang zum Bild zu groß gewesen wäre, doch wenigstens dafür gesorgt, dass man es bei Gelegenheit hätte verhüllen können.

Gern erinnere ich mich an den Aufschrei, als an Präsidentengattin Bettina Wulf ein Tattoo am Oberarm entdeckt wurde. Die Welt teilte sich in Spießer, die das indiskutabel fanden, und "Progressive", für die es cool war. Nach meiner Meinung passte es nicht zum Abendkleid, obgleich es handwerklich ganz ordentlich gemacht schien.

»Warum steht ‚Persil bleibtPersil‘ auf dem Rücken?«

Vor einiger Zeit schrieb ich über die selbstkritischen, teils frustrierten Bemerkungen von Frauen mittlerer oder fortgeschrittener Jahre, die sich bei mir einem Hautkrebsscreeening unterzogen. Hämangiome gerieten für sie zur Katastrophe, Naevi wurden verflucht, Alterswarzen … Nun, davon gar nicht zu reden. Aber über deformierte Tattoos wurde geschwiegen, Jugendsünden halt, die man stoisch hinnahm oder gar immer noch "cool" fand.

Was können wir für unsere Patientinnen tun? Vielleicht bei der J1 vorsorglich darauf hinweisen, dass man nicht immer 18 bleibt? Dass ein Tattoo Form und Farbe verändert und, einmal gestochen, nur schmerzhaft und kostenintensiv wieder entfernt werden kann? Dass man es dort stechen lassen sollte, wo man es sich bei Bedarf einfach verhüllen lässt? Die Gedanken sind, glaube ich überflüssig, weil das eh keiner wissen will.

Ich habe das Gefühl, dass jeder zweite mittlerweile tätowiert ist. Also: Wenn, dann bitte wenigstens einen echten Künstler dafür beauftragen und als Braut nicht die Prinzessin spielen wollen!