Muss Bewegung derartig kommerzialisiert werden?

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Tauber-Bachmann

Fitnessstudios begeistern heutzutage mehr als Bewegung im Freien. Fitnessstudios begeistern heutzutage mehr als Bewegung im Freien. © fotolia/oneinchpunch

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Fitnessstudio vs. Bewegungstraining im Freien.

E s gibt für mich kaum etwas Schöneres, als sich im Freien zu bewegen, spazieren zu gehen, zu walken oder zu joggen, je nach Lust und körperlichem Vermögen. Gerade jetzt im Frühling, wenn die Bäume und die Sträucher blühen, das frische Grün sich in der Wiese ausbreitet und auf den Feldern die ersten grünen Pflänzchen hervorspitzen.

Aber es geht nicht allen so, habe ich festgestellt. Die meisten Patienten, denen ich zur Gesunderhaltung oder zur Therapie mehr Ausdauerbewegung empfehle, sagen mir: "Da muss ich mich gleich im Fitnessstudio anmelden" oder "Mein Fitnessstudiovertrag läuft noch, aber ich gehe viel zu selten hin – ich muss es wieder anpacken." Mit dem entsprechenden "Schlechtes-Gewissen-Blick" natürlich.

Dass die Fixierung auf die Fitnessstudios nicht nur meine persönliche Beobachtung ist, las ich vor ein paar Tagen in der Zeitung. Die Quote der entsprechenden Verträge ist europaweit in Deutschland am höchsten. Und ich bin immer wieder erstaunt, zu erfahren, wie viele Fitnessgeräte, seien es Ergo-Räder oder Crosstrainer, sich in den Kellern meiner Patienten befinden – meist ungenutzt und verstaubt.

»In den Kellern verstauben die Räder und Crosstrainer«

Woran liegt es, dass unser Bewegungstraining – und ich sage bewusst: Bewegung, nicht Sport oder Fitness – so industrialisiert ist? Können wir uns nicht mehr bewegen ohne den wohlwollenden und kontrollierenden Blick eines Fitnesstrainers, ohne fachliche Anleitung oder eine teure Maschine? Wohlgemerkt, ich "verordne" Bewegung und nicht etwa Krankengymnastik, spezielles Krafttraining oder gezielten Muskelaufbau. Und ich sage immer zu meiner Empfehlung dazu, dass ein regelmäßiger und zügiger Spaziergang im hügeligen Vorspessart zumindest für den Einstieg absolut ausreicht. Ich will schließlich einen adipösen Gefäßpatienten nicht in den Herzinfarkt jagen!

Ich frage mich auch, ob tägliches Radeln im Keller Spaß macht und auf Dauer durchgehalten wird? Da braucht es schon eiserne Disziplin, ganz viel positive Motivation und feste Ziele im Auge. Ich denke da an eine schwer übergewichtige Patientin, die es damit (und natürlich mit diszipliniertem Essen) schaffte, innerhalb eines Jahres ihre Adipositas und ihre Diabetesmedikamente loszuwerden. Ob sie noch weiter täglich im Keller radelt? Ich weiß es nicht, da ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Möglich, dass sie weniger Arztbesuche nötig hat oder umgezogen ist. Oder den Hausarzt gewechselt hat, weil sie sich schämt, nicht weiter so gezielt und regelmäßig für sich zu arbeiten?

Natürlich ist es in unserer modernen Arbeitswelt während der Wintermonate schwierig, noch vor der Dunkelheit nach Hause und in die Sportkleidung zu kommen. Das ist mir schon klar. Für alle nicht ganz so disziplinierten und motivierten Menschen finde ich die Bewegung an der frischen Luft einfach viel sinnvoller und ganzheitlicher. In unseren Städten gibt es genügend gut beleuchtete Wege, um vor dem Schlafengehen noch eine Runde zu gehen.

»Im Frühling gelten die Ausreden nicht mehr!«

Im Frühling wird das Argument mit der frühen Dunkelheit aber hinfällig. Im Freien werden unsere Sinne angeregt, die verschiedenen Farben, die Gerüche, das Gefühl von Luft und Sonne auf der Haut, die verschiedenen Geräusche, die Begegnungen mit anderen, mit Menschen und mit Tieren. Damit meine ich nicht die knurrenden oder kläffenden Hunde, die für Jogger oder Walker durchaus angsteinflössend sein können, sondern eher scheue Tiere wie Rehe oder Spechte.

Und wenn der Untergrund auch noch uneben ist mit Steinen und Baumwurzeln, gibt es gleich noch ein kostenloses Koordinationstraining dazu. Dass all dies, die Eindrücke und die Bewegung, gegen Frühjahrsmüdigkeit und depressive Verstimmungen hilft, ist uns ja allen bekannt. Und gegen Stress, der im Fitnessstudio möglicherweise eher durch die Verpflichtung und den eigenen Leistungsanspruch verstärkt wird.

Und all das, was im Winter nur am Wochenende möglich war, lässt sich nun im Frühjahr wieder beginnen, ohne Fitnessstudio und ohne Fitnesstrainer! Und die Einzigen, denen das verwehrt ist, sind die Menschen mit Pollenallergie. Die müssen auf Regen warten. Und da machts ja bekanntermaßen schon wieder weniger Spaß.