Achtung, Medikationsfehler!

Dr. Andrea Wülker

Rund sieben Prozent der Nebenwirkungsverdachtsfälle stehen in Zusammenhang mit einem Arzneimittelaustausch. Rund sieben Prozent der Nebenwirkungsverdachtsfälle stehen in Zusammenhang mit einem Arzneimittelaustausch. © iStock/Grafner

Beim Umgang mit Flüssigmedikamenten, die in verschiedenen Wirkstoffkonzentrationen und Applikationsformen im Handel sind, ist besondere Aufmerksamkeit geboten. Denn sonst kann es im Zuge eines Produktwechsels schnell zur Über- oder Unterdosierung kommen. Für Patienten hat dies möglicherweise gravierende gesundheitliche Konsequenzen.

Verordnete Medikamente müssen in der Apotheke hin und wieder durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel ersetzt werden ­– etwa aufgrund von Lieferengpässen oder weil Rabattverträge mit der zuständigen gesetzlichen Krankenkasse bestehen. Auch in Pflegeeinrichtungen und Kliniken kommt es oft zur Substitution, wenn statt der vom Niedergelassenen verordneten Medikamente Arzneimittel der Hausliste ausgegeben werden müssen.

Gerade bei flüssigen Zubereitungen führen diese Tauschmanöver nicht selten zu Medikationsfehlern, schreiben Natalie Parrau von der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) und Kollegen. Dosierungsfehler sind beispielsweise auf unterschiedliche Wirkstoffkonzentrationen, Dosiervorrichtungen (Tropfmonturen, Pumpsysteme) oder Applikationshilfen (Dosierspritze, Pipette) zurückzuführen. Vor allem im Zusammenhang mit Kindern und älteren Patienten werden den zuständigen Stellen (BfArM, Paul-Ehrlich-Institut, AMK, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft) häufig Anwendungsfehler mit flüssigen Zubereitungen gemeldet.

Ein Problem bei Medikamenten in flüssiger Form ist, dass sie nicht selten in verschiedenen Dosierungseinheiten vorliegen. Ein „Tropfen“ von zwei Arzneimitteln, die formell austauschbar sind, muss nicht zwangsläufig dieselbe Wirkstoffmenge enthalten. So kann sich beispielsweise die Dosierungseinheit bzw. Bezugsgröße eines als Saft angebotenen Medikaments von der eines wirkstoffgleichen Mittels in Tropfenform stark unterscheiden.

Abweichungen der Bezugsgrößen von zwei Arzneimitteln werden in der Apothekensoftware mit dem Warnhinweis „Achtung – Arzneimittel unterscheiden sich in den Bezugsgrößen-Angaben“ gekennzeichnet. Dennoch stehen rund sieben Prozent der spontan an die AMK gemeldeten Nebenwirkungsverdachtsfälle in Zusammenhang mit einem Arzneimittelaustausch. Wie es zu Medikationsfehlern kommen kann, illustrieren typische Beispiele aus der Praxis.

Valproinsäure: Die flüssige Darreichungsform des Antiepileptikums ist in zwei unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen erhältlich: 60 mg/ml und 300 mg/ml. Bis 2015 mussten valproinhaltige Lösungen die Angabe der Konzentration nicht im Arzneimittelnamen führen, was bei Substitution leicht zu Über- oder Unterdosierungen führen konn­te. Dies änderte sich 2016. Dennoch gab es auch danach immer wieder Fälle, in denen beim Wechsel von einer 60er- auf eine 300er-Lösung das volumenbasierte Einnahmeschema fälschlicherweise beibehalten wurde (z.B. 3 x 5 ml), was zu erheblichen Überdosierungen führte. Daher einigten sich der Deutsche Apotheker Verband und der GKV-Spitzenverband 2018 darauf, den formellen Austausch von valproathaltigen Lösungen mit unterschiedlichen Konzentrationen nicht mehr zu erlauben.

Tramadol: Verschiedene Hersteller bieten das Opioid-Analgetikum als Lösung zum Einnehmen an – entweder mit Tropfmontur oder Dosierpumpe. Im Fall eines Austauschs kann dies zu Dosierungsfehlern führen, wie der folgende Fall eindringlich zeigt: Ein zehnjähriger Junge war wegen Phantomschmerzen in stationärer Behandlung. Im Entlassungsbrief wurden viermal täglich 20 Tropfen empfohlen, entsprechend einer Tagesration von 50 mg Tramadol. Als die Mutter ein ambulant verordnetes Rezept über Tramadoltropfen in der Apotheke einlöste, erhielt sie eine Flasche mit Dosierpumpe. In der Folge verabreichte sie ihrem Sohn eine Woche lang viermal täglich 20 Hübe.

Tramadol fünffach überdosiert, Haloperidol zwanzigfach

Allerdings entspricht ein Hub 12,5 mg Tramadol. Somit hatte sie das Opioid fünffach überdosiert, der Junge reagierte mit entsprechenden Nebenwirkungen. Aufgrund dieses Falles änderte der Zulassungsinhaber die Beschriftung der Tropfflasche und machte in einem Warnhinweis darauf aufmerksam, dass ein Hub aus der Dosierpumpe nicht einem Tropfen der Tropfvorrichtung entspricht. Zusätzlich erwirkte das BfArM, dass der Begriff „Tropfen“ aus den Bezeichnungen aller am Markt befindlichen tramadolhaltigen Lösungen gestrichen wird, sofern diese sowohl in Tropfflaschen als auch in Flaschen mit Dosierpumpe angeboten werden.

Haloperidol: Das Antipsychotikum ist in flüssiger Form nicht nur in zwei Packungsgrößen (30 bzw. 100 ml) verfügbar, sondern noch dazu als Tropf- bzw. Pipettenflasche oder mit Applikationsspritze. Dies kann zu schwerwiegenden Medikationsfehlern führen, wie das Beispiel einer 84-jährigen Patientin belegt. Die Dosierung, auf die man sie in der Klinik eingestellt hatte, wurde vom niedergelassenen Kollegen übernommen. Seine Rezeptierung lautete „Haloperidol 2 mg/ml Lösung, 100 ml“, dazu der Name eines bestimmten Generikaherstellers und die Notiz „mo. 2, mi. 2, ab. 5 Trpf“. Was dem Arzt offensichtlich nicht bewusst war: Die von ihm verordnete 100-ml-Flasche hat keine Tropfmontur, sondern eine Pipette, die in Millilitern skaliert.

Statt der angegebenen Tropfenmenge nahm die Patientin nun die gleiche Anzahl Milliliter mithilfe der Pipette ein, wobei ein Milliliter 20 Tropfen der Tropfflasche (bzw. 2 mg Haloperidol) entspricht. Damit hatte die alte Dame ihr Medikament zwanzigfach überdosiert. Für Patienten zusätzlich verwirrend sind herstellerabhängig unterschiedlich gestaltete Applikationshilfen mit Milliliter- oder Milligrammskala – teils sogar auf ein und derselben Pipette­.

Quelle: Parrau N et al. Bulletin zur ­Arzneimittelsicherheit 2021; 2: 25-35

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Rund sieben Prozent der Nebenwirkungsverdachtsfälle stehen in Zusammenhang mit einem Arzneimittelaustausch. Rund sieben Prozent der Nebenwirkungsverdachtsfälle stehen in Zusammenhang mit einem Arzneimittelaustausch. © iStock/Grafner