
Aktualisierte Leitlinie zu Varianten und neuen Therapien

Für die Diagnose des essenziellen Tremors müssen die folgenden drei Kriterien erfüllt sein: Es handelt sich um einen bilateralen Aktionstremor der oberen Extremitäten mit oder ohne weitere Manifestationen (Kopf, Stimme, untere Extremitäten). Die Symptome bestehen seit mindestens drei Jahren und weitere neurologische Symptome wie Dystonie, Ataxie, Parkinsonismus und periphere Nervenstörungen sind ausgeschlossen. Bei 50–90 % der Betroffenen bessert sich der Tremor nach Alkoholgenuss und in 40–70 % der Fälle ist die Familienanamnese positiv, heißt es in der renovierten Leitlinie Tremor der DGN* und weiterer Fachgesellschaften.
Vom essenziellen Tremor (ET) abgegrenzt wird neuerdings der essenzielle Tremor plus (ET+). Letzterer ist zu diagnostizieren, sobald eines der folgenden neurologischen Symptome („Soft Signs“) vorliegt:
- leicht gestörter Seiltänzergang
- fragliche dystone Symptome
- diskrete Gedächtnisstörung
- Ruhetremor
- andere diskrete neurologische Auffälligkeiten
Keines dieser Merkmale darf so stark ausgeprägt sein, dass eine andere Syndromdiagnose gestellt werden kann, etwa Ataxie, Dystonie oder Parkinson. Nach Hinweisen auf einen ET+ sollte gezielt gesucht werden. Bestehen ein ET bzw. ET+ seit weniger als drei Jahren, ist differenzialdiagnostisch auch an einen verstärkten physiologischen Tremor zu denken.
Für den essenziellen Tremor mit und ohne Soft Signs gelten die gleichen Therapieempfehlungen. Als Medikamente der ersten Wahl werden Propranolol (30–240 mg), Primidon (62,5–750 mg) und neuerdings auch Topiramat (200–400 mg) empfohlen. Die beiden letztgenannten Substanzen müssen off label eingesetzt werden. Die Antitremor-Wirksamkeit aller drei Optionen liegt zwischen 35 und 60 %.
Keine altersspezifische Empfehlung möglich
Die Auswahl der Substanzen richtet sich nach Kontraindikationen und individueller Verträglichkeit. Eine altersspezifische Empfehlung ist aufgrund der aktuellen Datenlage nicht möglich. Im Allgemeinen erhalten jüngere Patienten häufiger den Betablocker und ältere Primidon, beide Wirkstoffe sollten langsam eindosiert werden. Alternativ kann Topiramat verordnet werden. Bei mangelndem Effekt oder Nebenwirkungen sollten die verbliebenen Substanzen genutzt werden. Für die Kombination von Propranolol und Primidon wurde eine additive Wirkung gezeigt.
Zu den unerwünschten Effekten von Propranolol zählen Hypotonie, Bradykardie, Kopfschmerzen und Schwindel. Als Kontraindikationen nennt die Leitlinie unter anderem obstruktive Atemwegserkrankungen, AV-Block (II. und III. Grades), Bradykardie (ohne Schrittmacherpflicht), insulinpflichtiger Diabetes mit Hypoglykämieneigung (Kupierung von Warnzeichen) und schwere PAVK.
Primidon löst neben Müdigkeit und Sedierung häufig heftige Akutsymptome mit Schwindel, Übelkeit und Erbrechen aus. Vor ihnen sollte der Patient gewarnt werden. Außerdem wird eine sehr niedrige Eingangsdosis (< 62,5 mg) empfohlen. Auch mit Interaktionen ist zu rechnen, denn Primidon fungiert als Induktor für Cytochrom-P450-Isoenzyme.
Topiramat bei Schwangeren kontraindiziert
Die wichtigsten Nebenwirkungen von Topiramat waren in Studien Konzentrationsstörungen, Parästhesien, Nausea und Gewichtsabnahme. Kontraindiziert ist das Antikonvulsivum bei vorhandenen Nierensteinen, in der Schwangerschaft sowie bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne zuverlässige Kontrazeption.
Wegen den relativen Kontraindikationen für eine Dauertherapie sollten Patienten mit ET/ET+ nicht mit Benzodiazepinen behandelt werden. Als Ausnahme kommt bei leichten Beschwerden eine Bedarfsmedikation mit Alprazolam in Betracht (maximal einmal pro Woche).
Speziell zur Therapie des essenziellen Händetremors können auch Injektionen von Botulinumtoxin in die Beuge- und Streckmuskeln des Handgelenks eingesetzt werden, was eine spezielle Ausbildung erfordert. Der Effekt entspricht dem oraler Medikamente. An Nebenwirkungen ist mit einer reversiblen Muskelschwäche zu rechnen.
Mit der unilateralen MRT-gesteuerten fokussierten Ultraschallbehandlung (MRgFUS) steht eine neue nichtinvasive Option zur Therapie des medikamentenresistenten essenziellen Tremors zur Verfügung. Sie kann eingesetzt werden, wenn ein Nutzen trotz nur einseitiger Reduktion des Zitterns zu erwarten ist. Die bilaterale MRgFUS kommt vorerst nur im Rahmen von Studien und Registern in Betracht, da es an Evidenz mangelt und dysarthrische Nebenwirkungen drohen. Die MRgFUS steht auch zur Behandlung von Patienten mit schwerem Parkinsontremor zur Verfügung, die auf Arzneimittel nicht ansprechen.
* Deutsche Gesellschaft für Neurologie
Quelle: S2k-Leitlinie „Tremor“, AWMF-Register-Nr. 030/011, www.awmf.org
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