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Anästhetikum auf neuen Wegen
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Ketamin ist ein hochaffiner, nicht-kompetitiver Antagonist am glutamatergen NMDA-Rezeptor. Seine antidepressive Wirkung wird über eine Modulation von Neuroplastizität und inflammatorischen Prozessen vermittelt, erklärte Dr. Maria Gilles von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Dort hat man in therapieresistenten Fällen mit der intravenösen Applikation des Anästhetikums gute Erfahrungen gemacht. Allerdings ist die Behandlung off label und ein einheitliches Therapieregime gibt es bis dato nicht. Am Zi folgen die Psychiater der Konsensuserklärung der American Psychiatric Association zur Anwendung von Ketamin bei affektiven Störungen.
Voruntersuchungen sind Pflicht
Danach ist Ketamin i.v. indiziert bei Patienten mit einer therapieresistenten depressiven unipolaren oder bipolaren Episode – vorausgesetzt die Kontraindikationen wurden berücksichtigt bzw. die Voruntersuchungen erfolgreich abgeschlossen. Dr. Gilles empfiehlt im Vorfeld ein Ruhe-EKG durchzuführen und viermal am Tag plus einmal in der Nacht Blutdruck und Puls zu messen, um ein Tagesprofil zu erstellen. Eine Pulsoxymetrie erscheint dabei sinnvoll. Von den Laboranalysen bieten sich Blutbild, Elektrolyte, Leber-, Nierenwerte, CRP und TSH sowie ein Drogenurin an. Bei Frauen sollte eine Schwangerschaft per Test ausgeschlossen werden. Den erforderlichen körperlichen Belastungstest kann man im Treppenhaus durchführen: Es reicht aus, wenn ein Patient ohne Atemnot oder kardiale Beschwerden mindestens eine Etage hochsteigen kann.
Vorsicht, Begleimedikation!
Die folgenden Medikamente können mit Ketamin interagieren:
- Benzodiazepine; Diazepam erhöht die Halbwertszeit von Ketamin und verlängert dessen Wirkung
- Hypnotika, Antipsychotika, Barbiturate, Opiate
- Schilddrüsenhormone
- Sympathomimetika, Vasopressin
- Induktoren von Cyp3A (Carbamazepin, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Johanniskraut, Rifampicin
- Theophyllin, Aminophyllin
- (Grapefruitsaft, hemmt CYP3A4)
Kein Weg führt an der umfassenden Aufklärung des Patienten vorbei, die sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen sollte. Nicht nur Ablauf, Durchführung und Überwachung der Therapie sind zu thematisieren, sondern auch typische Nebenwirkungen und mögliche psychotomimetische Symptome wie Derealisation. Außerdem muss der Patient darüber informiert werden, dass es sich bei der Ketamingabe um einen Heilversuch handelt, potenzielle Behandlungsalternativen sind aufzuzeigen.
Die erste Behandlung erfolgt im vollstationären Rahmen mit einem Anästhesisten in der Nähe. Der Patient hat seit sechs Stunden weder etwas gegessen noch geraucht und seit zwei Stunden auch nichts mehr getrunken. Die letzte Medikamentengabe muss mindestens zwei Stunden zurückliegen. Und auch das ist wichtig: Vor der Ketamingabe über einen i.v.-Zugang sollte der Patient seine Blase entleert haben.
Das Anästhetikum wird in einer Dosierung von 0,5–1 mg/kg KG als Kurzinfusion über 40 Minuten appliziert. Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung sollten vor Beginn und dann alle fünf Minuten kontrolliert werden. Für den Fall von Dissoziationen sollte das Ganze in einem reizarmen Setting stattfinden. Hilfreich sind Kopfhörer mit aktiver Rauschunterdrückung und eine Schlafmaske. Bereithalten sollte man eine antiemetische und antihypertensive Bedarfsmedikation sowie einen Beatmungsbeutel.
Vor und vier Stunden nach der Wirkstoffgabe bestimmt man die Symptomschwere anhand der Montgomery–Åsberg Depression Rating Scale (MADRS) oder des Beck-Depressions-Inventars Revision (BDI II). Eine erneute Kontrolle erfolgt bei vollstationären Patienten nach 24 Stunden. Die Beurteilung des Ansprechens richtet sich nach dem subjektiven Eindruck des Patienten und nach den Werten der
MADRS. Im Median zeigt sich nach drei Behandlungen ein klinisches Ansprechen. Die zweite bis sechste Infusion erfolgt in Mannheim ebenfalls stationär, bei guter Verträglichkeit ab der dritten Infusion auch teilstationär.
Nach der sechsten Infusion sollte mit dem Patienten je nach Wirksamkeit über das Fortführen der Behandlung, ein Pausieren oder alternative Behandlungsmöglichkeiten gesprochen werden.
Was gegen Ketamin i.v. spricht
absolute Kontraindikationen
- strukturelle Herzerkrankung
- labile bzw. schwer einstellbare oder nicht-behandelte Hypertonie
- instabile Angina pectoris, Herzinfarkt
- Schlaganfall in den letzten zwölf Monaten
- gesteigerter Hirndruck
relative Kontraindikationen
- posttraumatische Belastungsstörung im Vordergrund
- Alkoholabhängigkeit bzw. Abstinenz von weniger als zwölf Monaten
Keine robuste Daten in puncto Langzeittherapie
Kommt eine Erhaltungstherapie in Betracht, setzte Dr. Gilles für vier Wochen alle sieben Tage eine Ketamininfusion ein, bei anhaltendem Ansprechen verlängert sie die Intervalle auf 14 Tage. Robuste Langzeit- und Sicherheitsdaten für eine Langzeitherapie gibt es nicht.
Kongressbericht: DGPPN* Kongress 2021
* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.
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