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Appendizitis – operieren oder abwarten?
Durch die verbesserte bildgebende Diagnostik und die Laparoskopie ist die Zahl der Appendizitisdiagnosen angestiegen. Patienten werden operiert, bevor sie überhaupt eine klinisch manifeste Entzündung entwickeln und obwohl sich ihre Symptome vielleicht ohnehin zurückgebildet hätten, schreiben Dr. David R. Flum vom University of Washington Medical Center in Seattle und Kollegen.1
Geringe Sensitivität der diagnostischen Methoden
Die Pathogenese der Appendizitis ist nicht wirklich geklärt. Lange ging man von Koprolithen, erhöhtem intraluminalem Druck, Überdehnung und bakterieller Überwucherung als Ursachen aus, diese sollten schließlich zu Gangrän und Perforation führen. In Studien kamen Koprolithen aber nur bei 18 % der Patienten vor und ein erhöhter Druck ließ sich nur bei 25 % messen.
Heute weiß man, dass die Reizung und Entzündung des Wurmfortsatzes nicht unweigerlich mit einer Perforation endet. Diese Komplikation tritt vor allem bei pathologischen Entzündungsreaktionen oder präexistent verändertem Mikrobiom auf, erklären die Kollegen.
Ob wirklich eine Appendizitis vorliegt, lässt sich klinisch nicht eindeutig klären. Die stärksten Prädiktoren sind der Schmerz im Mittelbauch, der sich in den rechten unteren Quadranten verlagert, und das Erbrechen. Ultraschall, CT und MRT geben weitere Hinweise, wobei die Treffsicherheit der Methoden sehr unterschiedlich ausfällt. Die Schnittbildverfahren liefern in der Regel bessere Ergebnisse.
Diagnostisch hat sich auch der Alvarado-Score bewährt, der vor allem bei niedriger Punktzahl die Appendizitis sehr unwahrscheinlich macht (s. Kasten). Damit lassen sich oft zusätzliche unnötige Untersuchungen vermeiden.
Der Alvarado-Score
- Mittelbauchschmerzen, die in den rechten unteren Quadranten wandern: 1 Punkt
- Appetitlosigkeit oder Ketonurie: 1 Punkt
- Übelkeit oder Erbrechen: 1 Punkt
- Druckschmerz im rechten Unterbauch: 2 Punkte
- Loslassschmerz der Bauchdecke: 1 Punkt
- Fieber ≥ 37,3 °C: 1 Punkt
- Leukozytose: 2 Punkte
- Neutrophilie: 1 Punkt
A. Alvarado, Ann Emerg Med. 1986; 15: 557-564
Weniger Schmerzen und raschere Erholung
Operiert wird in der Regel sofort, nachdem die Diagnose Appendizitis gestellt ist. Aber dieses Vorgehen hat auch Kritiker. So zeigten Studien, dass das Risiko für eine Perforation nicht automatisch durch eine längere Zeitspanne zwischen Erstvorstellung und Operation ansteigt. Zudem wiesen europäische Forscher nach, dass die primäre Gabe von Antibiotika durchaus sinnvoll sein kann. In vielen Fällen bildete sich die Symptomatik wieder zurück und eine Appendektomie war verzichtbar. Bei der „Zuerst-Antibiotika“-Strategie erhielten die Patienten typischerweise zunächst über 48 Stunden ein i.v. Antibiotikum. Danach wurde auf eine orale Therapie umgestellt (z.B. für eine Woche Ciprofloxacin und Metronidazol). In den ersten beiden Tagen mussten je nach Studie 0 bis 53 % der Patienten dann doch appendektomiert werden. Dieses Vorgehen ging im Vergleich mit der sofortigen Appendektomie aber mit weniger Schmerzen, geringerem Narkotikaverbrauch und rascherer Erholung einher. Auch lagen die Perforationsraten nicht höher, sondern überraschenderweise teilweise sogar niedriger als bei der sofortigen Operation, berichten die Studienautoren. In den folgenden Monaten unterzogen sich dann 10 bis 37 % der zunächst erfolgreich mit Antibiotika Behandelten doch noch einer Operation. Allerdings bestätigte sich die Appendizitis auch dann nicht in allen Fällen.Antibiose verhindert Operation
In einer aktuell veröffentlichten randomisierten Studie ließ sich die Gleichwertigkeit von initial konservativer und operativer Behandlung bei akuter unkomplizierter Appendizitis allerdings nicht belegen.2 Das Team um Dr. Paulina Salminen von der Division of Digestive Surgery and Urology am Turku University Hospital, Finnland, verglich das Outcome von 273 sofort operierten Patienten mit dem von 257 Kranken, die für drei Tage Ertapenem i.v. und anschließend eine Woche lang oral Levofloxacin und Metronidazol erhalten hatten. Um „Non-Inferiorität“ nachzuweisen, hätte die Versagerrate unter der Antibiose maximal 24 % betragen dürfen, so die Maßgabe.Die primäre Operation war zu 99,6 % erfolgreich. Anders die Antibiose: jeder vierte konservativ behandelte Patient (27,3 %) musste innerhalb eines Jahres doch noch unter’s Messer. D.h. die initial festgelegte maximale Therapieversagerrate wurde überschritten. Dennoch, der Mehrzahl der antibiotisch Behandelten blieb die Appendektomie erspart, betonen Dr. Salminen und Kollegen. Allgemein wird an der Strategie der sofortigen Operation – vorzugsweise laparoskopisch – bei Appendizitis festgehalten. Diese erscheint auch im eingangs genannten Fall empfehlenswert. Wenn Patienten eine Operation aber ablehnen oder es bei vorherigen Eingriffen zu Komplikationen gekommen ist, könnte man zunächst einen Therapieversuch mit Antibiotika erwägen, schreiben Dr. Flum et al.
Quelle:
1 David R. Flum, N Engl J Med 2015; 372: 1937-1943
2 Paulina Salminen et al., JAMA 2015, doi:10.1001/jama.2015.6154.
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