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Arzneimittel wirken bei Frauen und Männern unterschiedlich

In klinischen Studien ist das weibliche Geschlecht oft unterrepräsentiert. Deshalb werden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik und -dynamik nicht systematisch erfasst, schreibt Prof. Dr. Petra Thürmann von der Universität Witten/Herdecke. Umso wichtiger ist es, dass sich Ärztinnen und Ärzte dem Einfluss des Geschlechts auf Erkrankungen sowie deren Diagnostik und Therapie bewusst sind.
Unterschiede bei Depressionen und Infektionserkrankungen
„Zum näheren Verständnis der geschlechterspezifischen Unterschiede in der Pharmakotherapie ist zunächst die Tatsache zu beachten, dass Frauen und Männer oftmals unterschiedlich krank sind“, so Prof. Thürmann. Exemplarisch führt sie hierfür Depressionen auf, welche sich bei Frauen häufiger in Form von Müdigkeit und Rückzug äußern, während bei Männern Aggressionen und Substanzmissbrauch gängiger sind. Weiterhin könnten Unterschiede im Immunsystem für die bessere Prognose von Frauen bei einer schweren COVID-19-Erkrankung oder die abweichende Ausprägung von Tumoren verantwortlich sein.
Auch psychosoziale Faktoren spielen bei der Ausprägung und dem Verlauf einer Erkrankung eine Rolle. Deutlich wird dies unter anderem bei Schmerzen, deren Empfindung und Beschreibung vom sozialen Rollenverständnis beeinflusst werden kann.
Die bekanntesten Unterschiede sowohl bei den Symptomen als auch in der Pathophysiologie finden sich bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So geht beispielsweise das akute Koronarsyndrom bei Frauen mit einer verspäteten Therapie und einer schlechteren Prognose einher – womöglich aufgrund von Schmerzbeschreibung und Selbstwahrnehmung („eine Frau hat doch keinen Herzinfarkt“). Zudem leiden Frauen häufiger unter dem Takotsubo-Syndrom oder einer spontanen Aortendissektion.
Große Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt es auch in der Pharmakokinetik. Im Mittel weisen Frauen ein niedrigeres Körpergewicht und eine geringere Muskelmasse als Männer auf. Zudem ist ihr Körperfettanteil höher, bei einem niedrigeren Wassergehalt. Diese Faktoren begründen geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Verteilung und Exposition mancher Medikamente.
Eine höhere Wirkstoffexposition ist nicht selten Grund für ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko beim weiblichen Geschlecht. Vor diesem Hintergrund ist auch die renale Elimination relevant, welche gerade bei älteren Frauen vermindert sein kann. Sie ist eine mögliche Erklärung dafür, dass Digoxin bei Patientinnen mit Herzinsuffizienz die Mortalität eher steigert als einen Nutzen bewirkt. Ein weiteres Beispiel für die möglichen Auswirkungen geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Pharmakokinetik ist das bei Frauen erhöhte Blutungsrisiko unter niedermolekularem Heparin, Clopidogrel, Prasugrel und Dabigatran.
Weitere relevante Unterschiede bestehen hinsichtlich des Arzneistoff-Metabolismus. So wird das Enzym Cytochrom P450, Isoform CYP3A4, bei Frauen im Mittel etwas stärker exprimiert als bei Männern, was einen schnelleren Abbau von Substraten wie Methylprednisolon, Midazolam, Nifedipin und Verapamil zur Folge hat. Umgekehrt ist die Expression des Enzyms CYP2D6 bei Frauen in der Regel niedriger. Davon betroffene Substrate sind Metoprolol und viele Antidepressiva wie Venlafaxin.
Geschlechtsspezifische Unterschiede bewirken auch, dass Diuretika bei Frauen generell wirksamer sind als bei Männern. Dies geht allerdings auch mit einem höheren Risiko für Nebenwirkungen wie Exsikkosen und Elektrolytstörungen einher. Tierexperimentelle Studien deuten darauf hin, dass das u. a. mit einer höheren Dichte entsprechender Transporter in der männlichen Niere sowie Unterschieden im Renin-Angiotensin-Aldosteron-System zusammenhängt.
Antidepressivum sorgt für morsche Knochen
Das bei postmenopausalen Frauen ohnehin größere Osteoporoserisiko als bei gleichaltrigen Männern wird durch verschiedene Arzneistoffe verstärkt. Beispiele hierfür sind Protonenpumpenhemmer, Glukokortikoide und Antidepressiva wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer. Erhalten gefährdete Patientinnen einen oder mehrere dieser Wirkstoffe, sollte man das erhöhte Risiko berücksichtigen und gegebenenfalls präventiv behandeln. Bei Protonenpumpenhemmern ist außerdem eine Dosisreduktion, eine Umstellung auf Bedarfstherapie oder ein Ausschleichen zu erwägen.
Quelle: Thürmann PA. Hamburger Ärzteblatt 2024; 9: 12-16
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