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Aktuelle Studienergebnisse sprechen für individualisiertere Behandlung

Die Frage nach Geschlecht und Gender habe man in der Onkologie jahrelang nicht gestellt, obwohl sie Ärzt:innen täglich begegnet. Im Rückblick sei das irritierend, meinte Prof. Dr. Stefan Böck, München Klinik Neuperlach & Harlaching.1 Denn das Geschlecht kann den Verlauf von Tumorerkrankungen, die Wirksamkeit von Therapien und das Auftreten von Nebenwirkungen beeinflussen.
XELAVIRI-Studie: Weckruf für gendersensible Therapieansätze
Hier habe u. a. eine Subgruppenanalyse der Phase-3-Studie XELAVIRI (AIO KRK0110) die Augen geöffnet, schilderte der Experte. Ein Team um Dr. Katrin Heinrich, LMU Klinikum München, wertete bei Patient:innen mit metastasiertem Kolonkarzinom die beiden untersuchten Therapieschemata (Fluoropyrimidin(FP) + Bevacizumab, Irinotecan erst bei Progress vs. FP + Irinotecan + Bev) nach Geschlecht, Mutationsstatus und Lokalisation aus.2 Ein Ergebnis war, dass Männer (n = 281) von einer intensiveren Chemotherapie mit einem längeren OS profitierten, während sich bei Frauen (n = 140) tendenziell ein Nachteil im Gesamtüberleben fand.
Uneinheitliches Bild beim Pankreaskarzinom
Geschlechtsspezifische Variationen müssen jedoch differenziert betrachtet werden. So ergab eine gepoolte Analyse des Outcomes beim fortgeschrittenen Pankreaskarzinom keine eindeutigen Geschlechterunterschiede im OS. Die Forschenden hatten dafür fünf klinische Studien mit über 900 Patient:innen berücksichtigt. Zudem beeinflusste das Geschlecht die Effektivität bestimmter Therapieschemata nicht. Ebenfalls überraschend war laut Prof. Böck, dass diese Analyse auch keine Überlebensunterschiede in Abhängigkeit vom Alter gezeigt hatte.
Ergebnisse einer aktuellen Auswertung der SEER-Datenbank mit mehr Personen belegen andererseits geschlechts- und altersbezogene Inzidenz- und Mortalitätsunterschiede beim Pankreaskrebs. So wiesen weibliche Erkrankte unter 50 Jahren eine bessere Fünf-Jahres-Überlebensrate auf als männliche. In den höheren Alterskategorien konnte jedoch keine Differenz zwischen den Geschlechtern im Fünf-Jahres-OS festgestellt werden.
Nebenwirkungen betreffen Frauen stärker
Auch die höhere Nebenwirkungsrate bei Frauen unter onkologischer Therapie sollte zu denken geben, mahnte Prof. Böck. Gemäß einer Analyse von über 23.000 Patient:innen aus SWOG Phase-2/3-Studien trifft dies sowohl für Chemotherapien zu als auch für zielgerichtete Behandlungen und in besonderem Ausmaß für Immuntherapien. Wie der Referent erläuterte, könne die Tatsache, dass Frauen mehr Nebenwirkungen erleiden als Männer, auch das Outcome beeinflussen.
Männer profitieren offenbar deutlicher von Checkpointinhibitoren
Eine aktuelle Übersicht zur Wirksamkeit verschiedener Checkpointinhibitoren bei unterschiedlichen Tumorentitäten ergab, dass sowohl männliche als auch weibliche Betroffene, die mit CPI behandelt wurden, ein geringeres Sterberisiko aufwiesen als die Kontrollpersonen. In der Zusammenschau von 103 Artikeln fiel der Vorteil für Frauen geringer aus als für Männer (p = 0,02). In der Untergruppe der mit PD1-Inhibitoren therapierten Personen sprachen die männlichen Behandelten besser auf die Immuntherapie an als die weiblichen (p = 0,0073). Diese Effekte spielen aber bislang bei der Auswahl der immuntherapeutischen Substanzen keine Rolle, merkte Prof. Böck an.
Adipositas: unterschätzter Faktor bei Immuntherapien
Wie lassen sich diese Geschlechterunterschiede bei der Wirkung von Immuntherapien erklären? Prof. Dr. Sebastian Theurich, LMU Klinikum München, schilderte mögliche Ursachen und stellte dabei vor allem eine bestehende Adipositas und/oder Sarkopenie heraus.3
Einerseits stützen Beobachtungsstudien, dass Adipositas die Entstehung von Krebserkrankungen begünstigen kann. Eine an ungesättigten Fettsäuren reiche Ernährung stimuliert das Immunsystem über eine Aktivierung von Toll-like-Rezeptoren, was zu einem Anstieg der Entzündungswerte führt. Chronifiziert dieser Prozess, liegt eine chronische Inflammation vor, die als ein wesentlicher Faktor dazu beitragen kann, wie eine viszerale Adipositas zur Krebsentstehung führt.
Körperfett begünstigt CPI-Wirkung, aber auch Immuntoxizitäten
Betrachtet man die Wirksamkeit von Immuntherapien könne eine Adipositas das progressionsfreie und das Gesamtüberleben günstig beeinflussen, erläuterte der Kollege. Dabei hatten männliche, übergewichtige Personen den größten Benefit (PFS und OS), während Frauen mit erhöhtem BMI keinen Überlebensvorteil aufwiesen. Auch Immuntoxizitäten ließen sich bei übergewichtigen oder adipösen Patient:innen im Vergleich zu Normalgewichtigen vermehrt nachweisen. Dies geht aus einer Metaanalyse hervor, die unter dem Aspekt Übergewicht/Adipositas 48 Studien mit 19.767 Teilnehmenden eingeschlossen hatte.
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Onkologie?
Die präsentierten Daten unterstreichen die Notwendigkeit, Geschlechterunterschiede bei der Behandlung von Krebserkrankungen stärker zu berücksichtigen. Wie Prof. Böck erinnerte, sind hierzu prospektive Studien nötig, um konkrete Fragen zu beantworten und die Evidenz zu erhärten.
Quellen:
1. Bröck S. Symposium Gender & Onkologie; Vortrag „Genderaspekte aus Sicht der Onkologie allgemein“
2. Heinrich K. Symposium Gender & Onkologie; Vortrag „Geschlechterunterschiede bei gastrointestinalen Tumoren und Colon-Carcinom“
3. Theurich S. Symposium Gender & Onkologie; Vortrag „Geschlechtsspezifische Körperzusammensetzung als relevanter Biomarker für Krebsimmuntherapien“
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