
Phytotherapie: Manche pflanzlichen Arzneimittel wirken so gut wie synthetische Psychopharmaka

Angst vor Abhängigkeiten, zu wenige Therapieplätze und eine allgemeine Skepsis gegenüber Psychopharmaka befeuern das Interesse an pflanzlichen Heilmitteln bei Patienten. Auf dem Rezeptblock macht sich das kaum bemerkbar. Wirken die Substanzen nicht oder fehlt es den Ärzten einfach an Wissen? Für Psychiater um Professorin Dr. Pia Baldinger-Melich vom Universitätsklinikum Wien steht fest: Therapieversuche lohnen in den meisten Fällen. Kollegen sollten sich deshalb umfassend über die Möglichkeiten der Phytotherapeutika informieren.
Johanniskraut
Zu den Phytoklassikern zählt sicherlich Johanniskraut (Hypericum perforatum). In der Praxis kommt es häufig bei Depressionen zum Einsatz, werden doch den Inhaltsstoffen Hyperforin, Hyperosid, Hypericin und Amentoflavon antidepressive Effekte zugesprochen. Laut den österreichischen Autoren kommen diese erst durch das Zusammenspiel der Komponenten zustande. Doch wie sieht’s mit der Evidenz aus?
In einer placebokontrollierten Untersuchung mit leicht- bis mittelgradig depressiven Patienten bewährte sich Johanniskrautextrakt. Sechs Wochen lang nahmen die 147 Teilnehmer Präparate mit 0,5 % bzw. 5% Hyperforin ein. Nach Therapieende reduzierten sich die Scores auf der Hamilton Depression Rating Scale im hoch dosierten Arm signifikant gegenüber Placebo. Ein systematisches Cochrane-Review bestätigte die Ergebnisse. Die pflanzliche Alternative erwies sich sogar als ebenso wirksam wie herkömmliche Antidepressiva – und das bei gleichzeitig weniger Nebenwirkungen.
Vor dem Einsatz auf Neben- und Wechselwirkungen achten
Einen weiteren Vorteil fanden Wissenschaftler in Metaanalysen. Kernsymptome wie gedrückte Stimmung, Antriebsverminderung und somatische Depressionsmerkmale gingen durch Johanniskraut deutlich zurück. Bei schwerer oder chronischer Symptomatik raten Prof. Baldinger-Melich und Kollegen von einem Einsatz jedoch ab. Dort konnten sich die Präparate bisher nicht bewähren. Sie empfehlen den Behandlern, zudem auf potenzielle Neben- und Wechselwirkungen zu achten.
Lavendelöl
Eine von Patienten ebenfalls geschätzte Heilpflanze ist Lavendel (Lavandula angustifolia). Das Öl wird aufgrund seiner beruhigenden Effekte v.a. in der Aromatherapie eingesetzt. Als adjuvante Behandlungsoption verschreiben es manche Kollegen gegen Schmerzen, Verhaltensauffälligkeiten und Ängste. Der Mechanismus dahinter ist noch nicht geklärt, scheint aber ähnlich wie bei Benzodiazepin über GABA (γ-Aminobuttersäure) zu funktionieren.
Rosenwurz bei Burn-out sicherer als Benzos
In einer Studie an 221 Patienten mit subsyndromaler Angststörung übertraf Lavendelöl Placebo auf der Hamilton Anxiety Rating Scale. Bei generalisierter Angststörung erreichte das Phytopharmakon gleiche Effekte wie 0,5 mg Lorazepam. Was Betroffene besonders freute: Sie vertrugen Lavendelöl sehr gut. Nur vereinzelt berichteten sie von leichten gastrointestinalen Beschwerden.
Rosenwurz
Die Ingredienzien Salidrosid und Rosavine bestimmen die Wirkung der Rosenwurz (Rhodiola rosea L.). Die Autoren ermutigen Ärzte dazu, die Extrakte bei psychischen und physischen Stresssymptomen als Add-on auszuprobieren. Rosenwurz zählt zu den pflanzlichen Adaptogenen, d.h. sie steigert über unspezifische ausgleichende Effekte die Widerstandsfähigkeit. Dabei reguliert sie die Schlüsselmediatoren der physiologischen Stressantwort wie Cortisol und Stickstoffmonoxid.
Zudem stimuliert der Pflanzenstoff im ZNS direkt die Rezeptoren verschiedener Neurotransmitter. Durch eine zwölfwöchige Einnahme verbesserten sich die körperlichen und geistigen Symptome von 118 Burn-out-Patienten in einer offenen klinischen Studie. Im Vergleich zu gängigen Benzos profitieren Betroffene vom positiven Sicherheitsprofil der Rosenwurz. Tagesmüdigkeit oder das Risiko einer Abhängigkeit müssen sie also nicht befürchten, schreiben die Autoren.
Ginkgo biloba
Sogar Vergesslichkeit lässt sich pflanzlich therapieren. Entsprechend der aktuellen S3-Leitlinie „Demenzen“ kann man ein Ginkgo-biloba-Spezialextrakt bei leichter bis mittelgradiger Alzheimer- oder vaskulärer Demenz ohne psychotische Verhaltensstörungen erwägen.
240 mg Ginkgoextrakt bessern Kognition und Lebensqualität
Mehrere kontrollierte Studien belegen signifikante Effekte durch 240 mg/Tag des Extrakts. Gegenüber Placebo verbesserten sich Kognition, Lebensqualität und Alltagskompetenzen der Patienten. Nicht zuletzt aufgrund der guten Verträglichkeit gilt Ginkgo biloba als gute Alternative. Besonders, wenn chemisch definierte Antidementiva an ihre Grenzen stoßen.
Quelle: Baldinger-Melich P et al. CliniCum neuropsy 2018; 10-14
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).