Auf die Art des Impfstoffs kommt es an

Alexandra Simbrich

Patienten unter Therapeutika mit starker Immunsuppression sollten generell keine Lebendimpfstoffe erhalten. Patienten unter Therapeutika mit starker Immunsuppression sollten generell keine Lebendimpfstoffe erhalten. © Tino Neitz – stock.adobe.com

Bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen droht im Falle einer Infektion ein schwerer Verlauf oder ein Schub. Eine Impfung könnte diese Risiken minimieren. Doch nicht alle Patienten erhalten den schützenden Piks.

Aufgrund der Pathogenese der Grunderkrankung oder bedingt durch die Therapie können Menschen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen anfälliger für Infekte sein. Dennoch lässt der Impfschutz dieser Patienten oft zu wünschen übrig, schreibt Prof. Dr. Norbert Wagner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen in einer Übersichtsarbeit. Die Gründe hierfür liegen vor allem in Unsicherheiten in der Anwendung und der Sorge vor Impfkomplikationen. Vor allem bei den folgenden chronisch-entzündlichen Erkrankungen benötigen viele Patienten eine immunmodulatorische oder -suppressive Therapie, die das Infektionsrisiko erhöhen kann:

  • Morbus Crohn, Colitis ulcerosa
  • juvenile idiopathische Arthritis
  • Kollagenosen (z.B. systemischer Lupus erythematodes, Dermatomyositis/Polymyositis)
  • Vaskulitiden (z.B. Polyarteriitis nodosa, Granulomatose mit Polyangiitis)
  • Multiple Sklerose

Bei der Entscheidung für oder gegen die Immunisierung spielt die Art des Impfstoffs eine Rolle: Keine Bedenken seitens der STIKO gibt es bei der Gabe eines Totimpfstoffs, wenn die Patienten eine immunsuppressive Therapie erhalten. Der Experte weist jedoch drauf hin, dass das Impfansprechen wegen der Grunderkrankung oder der notwendigen Immunsuppression abgeschwächt sein kann. Daher sollte das Vakzin idealerweise vier Wochen vor Therapiestart verabreicht werden. Bei sehr raschem Therapiebeginn können die Patienten auch kurz vorher geimpft werden. Auch während der immunsuppressiven Therapie sind Totimpfstoffe sicher, die Vakzingabe sollte erfolgen, wenn Krankheitsaktivität und Immunsuppression möglichst gering sind. Für Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen empfiehlt Prof. Wagner bestimmte Impfungen (siehe Tabelle).

Für Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen empfohlene Impfungen
Impfung gegenHinweise
Influenza
  • jährliche Impfung empfehlenswert
Pneumokokken
  • sequenzielle Impfung im Abstand von 6 bis 12 Monaten (zunächst mit dem 13- bzw. 15-valenten Konjugatimpfstoff PCV13 oder PCV15, danach mit PPSV23)
Meningokokken (Serogruppen A, B, C, W, Y)
  • möglicherweise reduzierte Impfantwort
Humane Papillomaviren (HPV)
  • Antikörperspiegel kann reduziert sein, daher sollte eine dreimalige Impfung in Erwägung gezogen werden
Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
  • bei gegebener Indikation (Reise in Risikogebiete)n die Impfantwort kann abgeschwächt sein
COVID-19
  • gemäß STIKO-Empfehlung sollte eine Grundimmunität durch drei Antigenkontakte (Impfung oder Infektion) bestehen
  • Auffrischimpfungen sollten im Mindestabstand von 12 Monaten zum letzten Antigenkontakt erfolgen

Bei Lebendimpfstoffen ist besondere Vorsicht geboten

Etwas anders verhält es sich mit der Anwendung von Lebendimpfstoffen, z.B. gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR), ggf. in Kombination gegen Varizellen (MMRV). Ihre Gabe sollte gemäß den Empfehlungen der STIKO vier bis sechs Wochen vor Beginn der Immunsuppression erfolgen. Ob sie während der immunsuppressiven Therapie verabreicht werden dürfen, richtet sich nach der Pathogenese der Erkrankung, der akuten Erkrankungsschwere und dem Grad der therapiebedingten Immunsuppression. 

Unter Therapeutika ohne oder nur mit geringgradiger immunsuppressiver Wirkung (z.B. Mesalazin, Apremilast, Dimethylfumarat) ist die Gabe von Lebendimpfstoffen nicht kontraindiziert. Sicherheitsbedenken bestehen Studien zufolge nicht. Bei folgender Behandlung kann die Immunisierung nach individueller Risiko-Nutzen-Abschätzung erfolgen: 

  • Bei niedrigdosierten Glukokortikoiden (Erwachsene: < 10 mg Prednisolonäquivalent/Tag; Kinder: < 0,2 mg/kg/Tag) können alle MMR- bzw. MMRV-Impfstoffe verabreicht werden
  • Bei einer niedrigdosierten Basistherapie mit z.B. Methotrexat (Erwachsene: ≤ 0,4 mg/kg/Woche oder ≤ 20 mg/Woche; Kinder: ≤ 15 mg/m2 Körperoberfläche/Woche) oder Ciclosporin (Kinder und Erwachsene: ≤ 2,5 mg/kg/Tag) können bestimmte Lebendimpfstoffe gegen MMR oder MMRV verabreicht werden. 

Lebendimpfungen gegen Influenza und Rotaviren sollten bei geringer Immunsuppression aus Sicherheitsgründen nicht erfolgen. Patienten unter Therapeutika mit hoher Immunsuppression (z.B. hochdosierte Glukokortikoide über ≥ 2 Wochen oder hochdosierte Basistherapeutika, Azathioprin oder stark immunsuppressive Biologika wie Alemtuzumab und Ocrelizumab) sollten generell keine Lebendimpfstoffe erhalten. In jedem Fall ist die jeweilige Fachinformation zu beachtet, so Prof. Wagner.

Rituximab nicht während der Schwangerschaft

Bei engen Kontaktpersonen sollte im Sinne des Herdenschutzes ein aktueller Impfschutz gemäß STIKO-Empfehlung bestehen. Für Schwangere ist die Gabe von Rituximab während der Schwangerschaft nicht empfohlen: Der monoklonale Antikörper wirkt intrauterin auf den Fetus und führt daher auch beim Neugeborenem zu einer B-Zell-Depletion und damit zu einer gesteigerten Infektionsanfälligkeit. Lebendimpfungen bei in utero exponierten Kindern sollten daher erst dann erfolgen, wenn sich die B-Zellen erholt haben. Deren Rekonstitution hat außerdem Einfluss auf die humorale Immunantwort gegen Totimpfstoffe.

Für detaillierte Hinweise empfiehlt der Experte das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin unter: www.embryotox.de.

Quelle: Wagner N. Monatsschr Kinderheilkd 2024; 172: 267–274; DOI: 10.1007/s00112-023-01906-4

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