Bei hypertensiver Entgleisung erst die Begleitsymptome überblicken

Dr. Alexandra Bischoff

Psychischer Stress, Alkohol oder Schmerzen lassen den Blutdruck oft verrücktspielen. Psychischer Stress, Alkohol oder Schmerzen lassen den Blutdruck oft verrücktspielen. © fotolia/Teodor Lazarev

Auf einen krisenhaften Blutdruckanstieg über 180/120 mmHg sollte jeder Arzt adäquat reagieren können – sonst wird aus der Krise schnell ein Notfall, der schlimmstenfalls tödlich endet. Doch nicht jede Spitze bedarf einer sofortigen Intervention.

Mit einem Anteil von 90 % ist der primäre arterielle Hochdruck der weitaus häufigste Auslöser einer hypertensiven Krise – definiert als ein Anstieg über 180/120 mmHg. In knapp einem Viertel aller Fälle tritt ein bisher unbekannter Hypertonus sogar erstmals durch eine Krise in Erscheinung. Frauen sind davon häufiger betroffen als Männer, schreibt Professor Dr. Gerd Bönner, Leiter der wissenschaftlichen Kommission der Deutschen Hypertonie Akademie.

Auch psychischer Stress und Angstzustände sowie Alkoholmissbrauch und Drogenabusus (Kokain, Amphetamin) lassen die Werte mitunter krisenhaft steigen. Gleiches gilt für heftige Schmerzen und Reduktionen der antihypertensiven Therapie. Seltener sind Grunderkrankungen wie Nierenleiden, Präeklampsie oder Phäochromozytom Auslöser des Blutdruckanstiegs.

Bei der Anamnese sollte neben den oben genannten Punkten gezielt nach einer vorbestehenden Hypertonie sowie Art und Dauer der Medikation gefragt werden. Frühere Blutdruckkrisen und aktuelle Therapieänderungen interessieren ebenso wie eine blutdrucksteigernde Komedikation (z.B. Kontrazeptiva).

Unberechenbarer Abfall durch akut wirkende Vasodilatatoren

Ein alleiniger Blutdruckanstieg ohne Symptomatik bedeutet in der Regel keine akute Gefahr. Der Patient sollte entsprechend beruhigt werden, evtl. helfen auch Entspannungsübungen (autogenes Training, Tiefenatmung), den Blutdruck zu normalisieren.

Anders sieht die Strategie aus, wenn zusätzlich zur anhaltenden Blutdruckerhöhung Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, innere Unruhe, Spannungsgefühl im Brustkorb oder Nasenbluten bestehen – ohne Organbeteiligung. Dann sollte der Patient eine zusätzliche Tablette seiner bestehenden Medikation einnehmen. Eine Akutgabe von Nitroglycerin (0,8–1,2 mg), Captopril (12,5–25 mg) oder Clonidin (0,075–0,150 mg) wird nur selten benötigt. Unretardierte Kalziumantagonisten und andere akut wirkende Vasodilatatoren sollten auf keinen Fall gegeben werden. Denn sie können zu unberechenbaren, raschen Blutdruckabfällen führen. In den folgenden Tagen sollte die Basismedikation langsam eingestellt werden, ggf. unter Hinzunahme weiterer Wirkstoffe.

Ein ähnliches Vorgehen wird für Patienten mit vorbestehenden Endorganschäden empfohlen. Allerdings muss der Blutdruck hier schneller gesenkt werden, um den Übergang in einen hypertensiven Notfall zu vermeiden. Das Ziel ist eine Reduktion auf Werte < 160/100 mmHg binnen ein bis zwei Stunden. Je nach Klinik empfiehlt der Autor die akute Gabe von Urapidil (25 mg oral, evtl. auch 12,5–25 mg i.v.). In den nächs­ten ein bis zwei Tagen sollte der Blutdruck dann mittels Dosistitration der aktuellen Medikation oder Therapieerweiterung weiter sinken (< 140/90 mmHg).

Bei einem hypertensiven Notfall ist ein Blutdruckanstieg auf Werte über 180/120 mmHg definitionsgemäß immer mit akuten Organschäden (Gehirn, Herz, Niere oder Gefäße) und/oder mit einer akuten Verschlimmerung vorbestehender Endorganschäden verbunden.

Spezifische Maßnahmen im hypertensiven Notfall

  • kardiale, renale oder enzephalopathische Komplikationen: Blutdrucksenkung in der 1. Stunde um ca. 15–25 % und <160/100 mmHg in den ersten 2–6 Stunden
  • aortale Komplikationen: rasche Blutdrucksenkung in der ersten Stunde in den sicher normotonen Bereich
  • zerebrale Hämorrhagien: zügiges Absenken des Blutdrucks in Bereiche zwischen 180–160 mmHg systolisch in Abhängigkeit vom zerebralen Perfusionsdruck
  • ischämischer Insult: Blutdrucksenkung innerhalb der ersten 24 Stunden bei Werten > 220/120 mmHg, initiale Senkung nicht mehr als  15–25 % des Ausgangswertes; nach 24–48 Stunden Blutdrucksenkung wie bei kardialen Komplikationen
  • in der Schwangerschaft: gleich­zusetzen mit Präeklampsie

Jeder Notfall muss stationär eingewiesen werden

Die Symptome reichen von Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen, Übelkeit und Erbrechen bis hin zu Krampfanfällen oder Sehstörungen. Die Mortalität liegt unbehandelt bei 63 %. Bei Schwangeren und Kindern können entsprechende Beschwerden bei Werten ab 150/100 mmHg auftreten. Das Ausmaß des Anstiegs ist wichtiger als die absolute Höhe des Blutdrucks. Anamnestisch wird vorgegangen wie bei der hypertensiven Krise (evtl. Fremdanamnese). Blutdruck (beidseitige Messung) und Pulsstatus sollten überwacht werden. Jeder hypertensive Notfall muss stationär eingewiesen werden, wobei der Transport unter ärztlicher Aufsicht zu erfolgen hat. Noch in der Praxis oder während der Fahrt in die Klinik sollten symptomabhängig bestimmte Substanzen zur Druckentlastung des Kreislaufsystems verabreicht werden (s. Tabelle). Cave: Die Gabe von Nifedipin oder Nitrendipin 5 mg oral oder sublingual sollte insbesondere bei kardiovaskulären Erkrankungen unbedingt vermieden werden, da es ansonsten zu unkontrollierten Hypotonien und Organschäden kommen kann. Urapidil 25 mg langsam i.v., Nitrendipin 5 mg per os. (Cave: überschießender Blutdruckabfall), RAS-Hem
Notflltherapie je nach betroffenen Organsystem
ReflextachykardieMetoprolol 1–5 mg intravenös
Tachykardie, UnruheClonidin 0,075 mg langsam intravenös/subkutan
Unruhe alleinDiazepam 5–10 mg oral oder intravenös
LungenödemNitroglycerin 0,4 mg/Hub (bis dreimal) sublingual, Furosemid 20–40 mg i.v. (Volumendepletion vermeiden!)
Angina pectorisNitroglycerin 0,4 mg/Hub (bis dreimal) sublingual, Uradipil 25 mg langsam intravenös
SehstörungenUrapidil 25 mg langsam i.v., Kalziumantagonisten, RAS-Hemmer
Neurologische SymptomatikUrapidil 25 mg langsam i.v., Nitrendipin 5 mg per os. (Cave: überschießender Blutdruckabfall), RAS-Hemmer

Quelle: Bönner G. Dtsch Med Wochenschr 2017; 142: 1437-1445

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Psychischer Stress, Alkohol oder Schmerzen lassen den Blutdruck oft verrücktspielen. Psychischer Stress, Alkohol oder Schmerzen lassen den Blutdruck oft verrücktspielen. © fotolia/Teodor Lazarev