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Bei Patienten mit Gelbsucht ganz genau hinsehen

Eine 19-jährige, bislang gesunde Frau kommt in die Notaufnahme und klagt über Übelkeit und anhaltende Schmerzen im rechten Oberbauch – keine Koliken –, die seit einer Woche bestünden. Paracetamol (maximal 2 g/d) über zwei Tage, habe gegen die Schmerzen nicht geholfen. Außerdem gibt sie Fieber (38 °C) vor zwei Tagen sowie einen seit vier Tagen dunkel verfärbten Urin an, der Stuhlgang sei normal. Sie nehme keine Drogen, trinke nicht, sei weder verreist gewesen noch gebe es erkrankte Familienmitglieder.
Schon auf den ersten Blick erkennt man, dass die Patientin gelb in die Welt guckt – Skleren und Haut zeigen einen deutlichen Ikterus, beschreiben Diplom-Medizinerin Aurélie B. Leuenberger aus dem Notfallzentrum des Universitätsspitals Basel und ihre Kollegen die Kranke bei der Aufnahme. Außerdem bestehen bei der körperlichen Untersuchung Druckschmerzen im oberen rechten Quadranten des Abdomens.
Zunächst fordern die Schweizer Kollegen ein ausführliches Labor an. Und die Werte sehen gar nicht gut aus: Sie finden eine Thrombozytopenie und Anämie, eine gestörte Blutgerinnung (erhöhte INR, verminderte Konzentration der Faktoren II, V und VII). Im Differenzialblutbild zeigt sich eine coombs-negative hämolytische Anämie. Die Laborchemie ergibt deutlich gestiegene Spiegel von LDH, eine Transaminasenerhöhung mit hohem De-Ritis-Quotienten – ASAT (GOT) liegt deutlich über ALAT (GPT) – und einem Gamma-GT von 300 U/l. Das Albumin dagegen ist vermindert, und wie nach der Blickdiagnose zu erwarten war, sprengt die Gesamtbilirubinkonzentration alle Grenzen: Sie liegt um fast das 20-Fache (270 mol/l) über dem oberen Normwert. Elektrolyte, Nieren- und Pankreasmarker sind unauffällig. In der Sonographie schließlich finden die Ärzte einen Aszites um die Leber herum und eine Splenomegalie, aber sonst keine aufregenden Befunde.
Damit bestätigt sich der Verdacht, dass bei der jungen Frau akut die Leber versagt – aber warum? Nach Ausschluss der in der Tabelle gelisteten möglichen Differenzialdiagnosen, kommen die Mediziner auf einen Morbus Wilson, eine Ausscheidungsstörung für Kupfer und dessen Ablagerung in verschiedenen Organen.
Andere Ursachen des akuten Leberversagens | |
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Erkrankung | Grund für Ausschluss in der Kasuistik |
HELLP-Syndrom (hemolysis, elevated liver enzymes, low platelet count) | keine Schwangerschaft |
Malaria | keine Reiseanamnese |
Autoimmunhepatitis, Autoimmunerkrankung der Gallenwege | keine Autoantikörper |
Virushepatitis | Serologie für akute Infektion negativ, hämolytische Anämie in diesem Kontext ungewöhnlich |
Betroffene sollten Zink und Chelatbildner schlucken
Was Ärzte bei dem Verdacht auf die richtige Spur bringt:
- erniedrigte Konzentration des Kupfertransport-Proteins Coeruloplasmin
- erhöhte Kupferausscheidung im 24-Stunden-Urin (> 100 µg)
- bioptisch nachgewiesene Kupferablagerung im Lebergewebe: Werte ab 250 µg/g Trockengewicht sind ein eindeutiger Indikator (Norm 10–35 µg)
- in der Spaltlampenuntersuchung Kupferablagerungen um die Iris herum (Kayser-Fleischer-Kornealring)
- positive genetische Testung auf Vorliegen der Mutation im „Wilson-Gen“ (ATP7B auf Chromosom 13)
Bei der Diagnose kann auch der sog. Leipzig-Score unterstützen, der mögliche Organbefunde abfragt und gewichtet.
Wird die Erkrankung rechtzeitig festgestellt, können Medikamente helfen, die der Betroffene allerdings lebenslang nehmen muss. Chelatbildner, wie D-Penicillamin, binden das angesammelte Metall, sodass es über die Niere ausgeschieden werden kann, Zink vermindert die Kupferaufnahme im Darm. Außerdem sollten Betroffene insbesondere zu Therapiebeginn stark kupferhaltige Lebensmittel vermeiden, eine kupferfreie Ernährung ist allerdings nicht nötig.
Heilung nach Lebertransplantation
Durch den bereits schweren Leberschaden der 19-Jährigen (u.a. 543 µg Kupfer/g Leber-Trockengewicht) ließ sich damit aber nichts mehr ausrichten, zumal bei ihr noch eine akute Niereninsuffizienz hinzukam – ein neues Organ musste her. Glücklicherweise war innerhalb weniger Tage eine Lebertransplantation möglich, und die junge Frau erholte sich vollständig.
Da in den Zellen der neuen Leber der Gendefekt nicht vorliegt, gelten Transplantierte diesbezüglich als geheilt, eine weitere spezifische Therapie ist nicht nötig. Was aber sein sollte: Eine Familienuntersuchung mit humangenetischer Beratung, denn wegen der autosomal-rezessiven Vererbung liegt rein statistisch das Erkrankungsrisiko für Geschwister von Betroffenen bei 25 %, das für Kinder bei etwa 0,5 %.
Quelle: Leuenberger AB et al. Swiss Med Forum 2020; 20: 319-322; DOI: 10.4414/smf.2020.08389
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