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Biologika erobern den Darm

Die intestinale Entzündungsreaktion zu hemmen, ist oberstes Gebot bei der Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (CED). Bis Ende des 20. Jahrhunderts standen dafür Aminosalicylate, Glukokortikoide und Immunmodulatoren wie Azathioprin zur Verfügung. Durch diese Wirkstoffe ließ sich jedoch lediglich eine klinische Remission erreichen, schreiben Dr. Philip Esters von der Medizinischen Klinik I am Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt und seine Kollegen. Mit Zulassung von Infliximab Ende der 1990er-Jahre hat sich das geändert. Heute kann mithilfe der Biologika auch die Mukosaheilung als relevantes Ziel angestrebt werden.
Zur Behandlung von CED sind in Deutschland verschiedene Biologika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zugelassen. Zu den TNF-a-Blockern gehören die mononukleären Antikörper Infliximab, Adalimumab und Golilumab. Sie neutralisieren lösliches und membranständiges TNF-a und zerstören TNF-a-produzierende Zellen.
a4b7-Integrin-Antikörper (Antiintegrine) hemmen den Übertritt von Leukozyten aus dem Blut in die Darmschleimhaut. Zugelassen für M. Crohn und Colitis ulcerosa ist der monoklonale Antikörper Vedolizumab, der relativ darmspezifisch wirkt. Ein weiteres Antiintegrin, Natalizumab, ist nicht darmspezifisch und bei Morbus Crohn nur in Ausnahmefällen einsetzbar.
Interleukin-12 spielt bei der Differenzierung von TH1-Zellen eine Rolle, Interleukin-23 bei der Entwicklung von TH17-Zellen. Werden diese Zytokine gehemmt, wirkt dies antientzündlich. Bereits für die Therapie von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zur Verfügung steht der monoklonale Antikörper Ustekinumab. Weitere IL-23-Antikörper wie Guselkumab oder Risankizumab befinden sich kurz vor der Zulassung.
Wann Biologika bei CED zum Einsatz kommen sollen, hängt von der Krankheitsaktivität ab. Steroidrefraktäre Verläufe und fulminante Kolitis sind Indikationen bei Colitis ulcerosa. Auch eine persistierende entzündliche Aktivität unter konventioneller remissionserhaltender Therapie ist ein typisches Einsatzgebiet für Biologika. Gleiches gilt für den Morbus Crohn. Zudem empfiehlt man Biologika bei ausgedehntem Befall des oberen Gastrointestinaltrakts oder Dünndarms und bei aktiv fistulierender Erkrankung.
Mit welchem Mittel man beginnt, ist dagegen nicht festgelegt, so die Experten. Direkte Vergleichsstudien gibt es kaum, und die wenigen vorhandenen sprechen nicht sicher für die eine oder andere Substanz. Eine Rolle spielen neben der persönlichen Erfahrung des jeweiligen Mediziners vor allem Alter und Begleiterkrankungen des Patienten, die ggf. eine Kontraindikation für das eine oder andere Biologikum darstellen, sowie der Wunsch des Kranken.
In jedem Fall muss man vor dem Biologikastart den Impfstatus überprüfen und ggf. aktualisieren. Eine Tuberkulose ist unbedingt auszuschließen bzw. zu behandeln. Auch die Hepatitis B kann unter Biologika reaktiviert werden. Je nach Risiko wird eine präemptive Therapie empfohlen. Die Frankfurter Kollegen raten zudem, auf Hepatitis C, EBV und auf HIV zu screenen.
Spricht der Patient innerhalb von zwölf Wochen (TNF-alpha-Blocker) bzw. 16 Wochen (Vedolizumab oder Ustekinumab) nicht auf die Behandlung an, können pharmakodynamische oder pharmakokinetische Ursachen dahinterstecken. Für das weitere Vorgehen sind die Serumspiegel des Biologikums zu messen, außerdem muss nach Anti-Drug-Antikörpern gefahndet werden (s. Tabelle).
Angepasstes Vorgehen bei Versagen der Biologikabehandlung | |
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Konstellation | Maßnahmen |
1. Patienten mit Tal-Medikamentenspiegeln unterhalb der Nachweisgrenze plus neutralisirende Antikörper | Wechsel auf ein anderes Medikament aus der gleichen Gruppe, sinnvollerweise in Kombination mit Azathioprin, um die Immunogenität des Biologikums zu senken |
2. Patienten mit Tal-Medikamentenspiegeln unterhalb der Nachweisgrenze ohne neutralisierende Antikörper | Dosis des Medikaments erhöhen oder Intervall zwischen den Gaben verkürzen |
3. Patienten mit ausreichenden Tal-Medikamentenspiegeln ohne neutralisierende Antikörper | Therapie auf eine andere Substanzklasse umstellen |
4. Patienten mit ausreichenden Tal-Medikamentenspiegeln plus neutralisierende Antikörper | Kontrolle, ob es sich tatsächlich um neutralisierende, dauerhaft nachweisbare Antikörper handelt. Wenn ja, Vorgehen wie unter 3 |
Bei Ustekinumab und Vedolizumab ist wegen des geringen immunogenen Potenzials bisher ein Drug Monitoring selten erforderlich. |
Hinsichtlich unerwünschter Wirkungen erweisen sich Biologika als akzeptabel bis günstig, schreiben die Experten. Ustekinumab und Vedolizumab scheinen vor allem mit einer leicht erhöhten Infektanfälligkeit einherzugehen. Bei TNF-a-Inhibitoren liegen die Nebenwirkungsraten etwas höher als bei anderen Substanzklassen. Ihre möglichen unerwünschten Effekte umfassen u.a.
- Überempfindlichkeitsreaktionen auf die Infusion-/Injektion
- Infektionen vor allem bei über 60-Jährigen (auch an ungewöhnliche Erreger wie Pilze denken)
- (sich verschlechternde) demyelinisierende Erkrankungen
- (sich verschlechternde) Herzinsuffizienz
- Hautreaktionen
- Autoimmunstörungen, etwa ein medikamentös ausgelöster Lupus erythematodes
Insgesamt wird die Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen mit der zunehmenden Zahl neuer Wirkstoffe komplexer. Doch die modernen Optionen ermöglichen das Erreichen ambitionierterer Therapieziele, die wiederum die Lebensqualität der Patienten verbessern und Komplikationen reduzieren. Problematisch waren bisher die hohen Kosten einer Biologikatherapie. Durch Ablauf des Patentschutzes für Infliximab und Adalimumab und die Einführung preisgünstigerer Biosimilars (s. Kasten) ist zu hoffen, dass die potenten Wirkstoffe zukünftig breiter angewendet werden können.
Wechsel auf Biosimilar problemlos möglich
Biosimilars stellen molekularbiologisch hergestellte Kopien der Biologika dar. Zulassungsbehörden gehen von einer quasiidentischen Wirkung gegenüber dem Original aus, sodass das Verfahren deutlich kürzer und kostengünstiger abläuft. Bei den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ist die Wirksamkeit mittlerweile sicher. Auch der Wechsel vom Original auf ein Biosimilar oder zwischen Biosimilars ist problemlos möglich.
Quelle: Esters P et al. Internist 2022; 155-164; DOI: 10.1007/s00108-021-01255-y
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