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Blasenentzündung: Reicht Anamnese für Antibiotika?
Brennen und Schmerzen beim Wasserlassen, Leukozyten und Bakterien im Urin: Bei diesen Symptomen besteht ohne Zweifel ein Harnwegsinfekt. Also gibt man ein Antibiotikum – und die Sache ist erledigt? „Wäre es so einfach, könnte ich meinen Vortrag jetzt beenden“, sagte Privatdozent Dr. Urban Sester vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar. Tatsächlich hängt die Therapiestrategie aber von zahlreichen Einflussfaktoren ab.
Liegt eine obere oder untere Harnwegsinfektion vor? Ist sie kompliziert oder unkompliziert? Gibt es Begleiterkrankungen, vorausgegangene Antibiotikatherapien oder gar eine Schwangerschaft? All dies gilt es zu differenzieren, bevor Sie den Rezeptblock zücken, betonte der Nephrologe. Er arbeitet an der Neuauflage der Leitlinie „Unkomplizierte Harnwegsinfektion“ mit, die 2015 erscheinen wird.
Unkomplizierte Zystitis eindeutig definiert
Einig sind sich die Experten bereits jetzt, dass sich zumindest an der Definition nichts ändern wird. Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt liegt vor, wenn keine relevanten funktionellen/anatomischen Anomalien, Nierenfunktionsstörungen, Immundefizite oder Begleiterkrankungen bestehen. Sind Komorbiditäten gut therapiert (z.B. Diabetes mit stabiler Stoffwechsellage, sprich HbA1c < 7 %), erlaubt dies ebenfalls das Label „unkompliziert“.
Was die Diagnose der unkomplizierten Zystitis angeht, haben Nephrologen und Allgemeinmediziner lange gestritten (s. Tab.). Den DEGAM-Vorschlag, dass in den meisten Fällen die typische Anamnese zur Ausstellung des Antibiotikum-Rezeptes genügt (Urinstatus und Urinkultur nur bei Schwangeren und jüngeren Männern), lehnten die Nierenspezialisten im Leitliniengremium entschieden ab.
Rezept zur Antibiose nicht aus dem Automaten
„Die Art, so locker mit Antibiotika umzugehen, stammt aus dem angloamerikanischen Bereich“, kommentierte Dr. Sester. Er führte zur Verdeutlichung eine US-Studie an, laut der Harnwegsinfektionen fantastisch per Telefon gemanagt werden können.
Das Setting: Der Patient ruft das Callcenter der Krankenkassen an, berichtet von Brennen beim Wasserlassen und der zuständige Mitarbeiter faxt ein Rezept an die nächste Apotheke – dort kann das Antibiotikum abgeholt werden. Conclusio der Autoren: Die Ergebnisse sind vergleichbar mit einer Behandlung durch den Hausarzt.
Flankenschmerz erfordert eine Abklärung
Mit einer anderen Arbeit aus dem Jahr 2011 – „computer kiosk-expedited management of cystitis in the emergency department“1 – ging man noch einen Schritt weiter: Mehr als 600 Patientinnen mit Blasenbeschwerden tippten ihre Symptome in einen Automaten ein, der in rund hundert Fällen die Zystitis-Diagnose stellte und ein Rezept „ausspuckte“.
Derlei Verfahren bergen ein immenses Fehldiagnose-Risiko, warnte Dr. Sester. Es gibt durchaus Patienten, die trotz typischer Zystitis-Symptomatik keinen Harnwegsinfekt, sondern eine andere Erkrankung aufweisen. Diese Fälle fallen dann durchs Raster.
Glomerulonephritis keinesfalls übersehen
Als Beispiel schilderte der Kollege den Fall einer 35-jährigen Frau, die wegen ihrer „Zystitisbeschwerden“ von einem Doktor zum anderen geschickt und mehrfach wie eine Patientin mit Harnwegsinfekt (HWI) behandelt worden war – ohne dass es durch die Antibiotikatherapie zur Besserung der Beschwerden kam. Nebenbei berichtete die Frau von rezidivierender Pharyngitis und „ein bisschen Flankenschmerz“. Die Urinkultur fiel jedoch bei wiederholter Diagnostik negativ aus, dafür bestand eine persistierende Mikrohämaturie.
Die Homburger Kollegen warfen schließlich (und zwar in diesem Fall zum ersten Mal!) einen Blick durchs Mikroskop und erkannten Akanthozyten bzw. die typischen sogenannten „Micky-Maus-Zellen“. Die korrekte Diagnose lautete am Ende: Glomerulonephritis aufgrund einer Mykoplasmeninfektion der Adnexe. „Wir haben 14 Tage gezielt behandelt und der ganze Spuk war vorbei“, berichtete der Referent.
Urinstatus als diagnostischer Standard durchgesetzt
Wichtige Differenzialdiagnosen gehen uns durch die Lappen, wenn wir es uns bei der Diagnostik zu einfach machen, betonte Dr. Sester. In der Endfassung der Leitlinien-Tabelle hat sich daher der Urinstatus – natürlich nebst ärztlicher Befragung und Untersuchung – als Standard durchgesetzt.
Vorsicht, klinische Fehlklassifikation! Die „Etage des klinischen Geschehens“ wird selbst in der Notaufnahme der Uniklinik nicht selten falsch klassifiziert, berichtete Dr. Sester: Sobald Flankenschmerz auftritt, ist das kein unterer Harnwegsinfekt mehr. Dieses Symptom kann nur auftreten, wenn die Niere mit betroffen ist, mahnte der Experte. Auch ein klopfschmerzhaftes Nierenlager oder Fieber (systemische Mitreaktion) bedeuten, dass ein parenchymatöses Organ beteiligt ist. Die Zystitis bleibt dagegen auf die Schleimhaut beschränkt. |
Quelle:
58. Jahreskongress der Saarländisch- Pfälzischen Internistengesellschaft
1. J. C. Stein et al., Acad Emerg Med. 2011 Oct; 18: 1053-1059
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