Blüten auf Rezept

Dr. Judith Lorenz

Besonders Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder Multipler Sklerose profitieren laut der Autoren von dieser Behandlung. Besonders Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder Multipler Sklerose profitieren laut der Autoren von dieser Behandlung. © iStock/viennetta

Seit 2017 ist in ausgewählten Fällen die Verordnung von qualitativ standardisiertem Cannabis erlaubt. Zwar ist die Datenlage derzeit noch schwach, doch scheint die Therapie im klinischen Alltag vielfach zu helfen – und das bei insgesamt günstigem Nebenwirkungsprofil.

Cannabisblüten werden inhaliert und entfalten auf diese Weise schnell ihre schmerzlindernde Wirkung, erläutern Professor Dr. Dr. Joachim­ Nadstawek­ und Dr. ­Daniel Berning­ vom Schmerzzentrum Bonn. Mit der neuen Therapieoption haben die Kollegen gute Erfahrungen gemacht. Besonders Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder Multipler Sklerose profitieren ihrer Einschätzung nach von dieser Behandlung. Die meisten Betroffenen bräuchten maximal viermal am Tag zu inhalieren, berichten sie. Dies entspräche in etwa der Häufigkeit, mit der auch andere Analgetika, wie z.B. Metamizol, eingenommen werden müssten.

Relevant bei der Anwendung sei die Unterscheidung zwischen den Arten Cannabis indica und Cannabis sativa, so die Experten weiter. Aufgrund abweichender Wirkstoffkonzentrationen machen Blüten von C. indica müde und eignen sich daher besonders für die Inhalation am Abend und in der Nacht, da dies in der Regel für einen guten Schlaf sorgt. Tagsüber nutzen viele Patienten hingegen Cannabis sativa.

Seit 2017 ist das sogenannte Cannabisgesetz in Kraft. Es bescheinigt Versicherten mit einer schwerwiegenden Erkrankung den Anspruch auf medizinisches Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität bzw. auf Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon.

Meist reichen weniger als 100 g pro Monat aus

Voraussetzung für eine Verschreibung ist, dass andere wirksame Therapiemethoden nicht zur Verfügung stehen oder keinen Erfolg erzielten. Die Krankenkassen betonen jedoch immer wieder den hohen Preis der Cannabisblüten im Vergleich zu Dronabinol und Cannabisextrakten, berichten die Schmerztherapeuten. Allerdings gehen die Krankenversicherungen wohl davon aus, dass jeder Patient die Höchstmenge von 100 g pro Monat inhaliert. In der klinischen Praxis zeige sich jedoch, dass nur wenige Patienten tatsächlich diese Maximaldosis benötigen – die Mehrzahl ist den Erfahrungen der Autoren nach mit deutlich weniger gut versorgt.

In der medizinischen Welt herrscht immer noch große Skepsis gegenüber der Inhalationstherapie mit medizinischen Cannabisblüten, berichten Prof. Nadstawek und Dr. Berning weiter. Kritiker berufen sich einerseits auf die geringe Evidenz dieser Therapieform und äußern andererseits Sicherheitsbedenken. Tatsächlich gebe es bislang kaum wissenschaftliche Belege, räumen die beiden Experten ein. Randomisierte Studien stehen aus. Allerdings deutet sich in verschiedenen Meta­analysen eine schmerzlindernde Wirkung von Cannabisblüten an. Schwerwiegende Zwischenfälle waren unter der Anwendung von medizinischem Cannabis diesen Auswertungen zufolge selten und die aufgetretenen Nebenwirkungen meist mild. Dies deckt sich mit den klinischen Erfahrungen der beiden Schmerztherapeuten: Sie beobachten als häufigste Nebenwirkungen Schwindel, Müdigkeit und Mundtrockenheit.

Ein weiteres Argument gegen Cannabisblüten ist die aufgrund der Inhalation unberechenbare Pharmakokinetik: Das schnelle An- und Abfluten des Wirkstoffs lässt sich mit der Dynamik von Opioiden vergleichen, weshalb einige Fachleute ein Suchtpotenzial sehen. Bei ihren eigenen Patienten beobachteten Prof. Nadstawek und Dr. Berning jedoch bislang keine derartigen Entwicklungen. Kritiker befürchten ferner, dass Cannabisblüten Psychosen oder Depressionen auslösen könnten. Aus diesem Grund gelten psychische Erkrankungen, aber auch eine PAVK und kardiovaskuläre Vorerkrankungen als Kontraindikationen.

Unabhängige Studien sind notwendig

Die insgesamt guten klinischen Erfahrungen mit medizinischem Cannabis ersetzen jedoch keine kontrollierten, randomisierten Studien, so das Fazit der Kollegen. Unabhängig finanzierte Untersuchungen bezüglich aller Applikationsarten und Indikationen sind ihrer Ansicht nach dringend nötig.

Quelle: Nadstawek J, Berning D. Schmerzmedizin 2021; 37: 29-32; DOI: 10.1007/s00940-021-3157-7

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