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Borderline: Erste Einblicke in die kommende S3-Leitlinie

Die Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung (PS) darf keinesfalls leichtfertig gestellt werden. Patienten mit entsprechenden Krankheitszeichen müssen genauestens abgeklärt werden, darin sind sich die Leitlinienautoren um Professor Dr. Sabine Herpertz von der Klinik für Allgemeine Psychiatrie am Universitätsklinikum Heidelberg einig. Schon bei einem der folgenden Symptome ist eine fachgerechte Untersuchung indiziert:
- wiederholtes suizidales oder selbstverletzendes Verhalten
- starke emotionale Instabilität
- mehrere komorbide psychische Erkrankungen
- erheblich beeinträchtigtes psychosoziales Funktionsniveau
- bisherige Therapien konnten die psychischen Beschwerden nicht verbessern
In der Vergangenheit sei es viel zu häufig vorgekommen, dass die Diagnose nicht an die Patienten weitergegeben wurde – aus Angst, respektive zum Schutz der Betroffenen vor möglichen Stigmata, bemängelte Prof. Herpertz. Die Psychiaterin appellierte eindringlich, die Betroffenen über ihre Störung aufzuklären und zu betonen, dass wirksame Therapien zur Verfügung stehen. Sofern gewollt, können und sollten Angehörige einbezogen werden.
Borderline steckt schon in den Kinderschuhen
Mindestens eine Sitzung pro Woche
Außerdem wird den Behandlern nun „erlaubt“, Frequenz und Dauer der Therapie individuell zu gestalten. Zwar halten die Autoren eine Sitzung pro Woche für das Mindestmaß. Entscheidend sei jedoch, dass die Rahmenbedingungen zu den persönlichen Lebensumständen und Wünschen der Patienten passen. Dafür müssen sie das Spektrum möglicher Behandlungsalternativen kennen, unterstrich die Referentin. Steht eine strukturierte Einzeltherapie (noch) nicht zur Verfügung, sollten Betroffene vorübergehend an störungsspezifischen Gruppensitzungen teilnehmen, z.B. an einem dialektisch-behavioralen Skillstraining. Für Borderline-Patienten traurige Versorgungsrealität ist die zu häufige Verschreibung viel zu vieler Medikamente, erklärte Professor Dr. Christian Schmahl, Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, So erhalten beispielsweise rund 70 % der stationär Aufgenommenen Antidepressiva, allen voran Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), obwohl dies kaum durch valide Studien gestützt wird. Placebokontrollierte, randomisierte Studien für andere Substanzen (Mirtazapin, Bupropion, Duloxetin, Venlafaxin) sucht man gar vergeblich.Empfehlungen trotz schwieriger Datenlage
Ein ähnliches Bild zeigt sich für Stimmungsstabilisierer und Antipsychotika. Auch hier geht die Verschreibungspraxis meist völlig an der verfügbaren Evidenz der eingesetzten Substanzen vorbei, beklagte der Psychiater. Für das häufig verordnete Quetiapin z.B. liegt genau eine (!) randomisiert-kontrollierte Studie vor. Valproinsäure und Lamotrigin können immerhin mit jeweils drei placebokontrollierten Arbeiten aufwarten. In einer davon ließ sich für Lamotrigin im Vergleich zu Placebo keine nennenswerte Überlegenheit im Hinblick auf zahlreiche Variablen (u.a. Suchtverhalten, selbstverletzendes Verhalten, Depressivität) zeigen. Die schwierige Datenlage haben die Leitlinienautoren berücksichtigt und folgende vorläufige Empfehlungen ausgesprochen:- Medikamente nicht als primäre Therapie nutzen und nicht anstelle anderer, besser geeigneter Interventionen einsetzen.
- Pharmaka evtl. ergänzend zur Psychotherapie anbieten, um umschriebene Symptome zu behandeln.
- Im akuten Krisenfall Medikamente erwägen, wenn eine Psychotherapie nicht ausreicht. Danach wieder absetzen!
- Präparate, die bei einer Überdosis tödlich sein können, nur in Ausnahmefällen verordnen (Suizidgefahr!).
- Substanzen mit Abhängigkeitspotenzial vermeiden.
- So wenig Medikamente wie möglich verschreiben, um Polypharmazie zu reduzieren.
- Psychopharmakotherapie in die Hand nur eines Behandlers, möglichst eines Facharztes, legen.
Kongressbericht: DGPPN-Kongress 2020 – digital (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde)
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