
Botulinumtoxin statt Speicheltuch?

Ein Mensch produziert täglich bis zu 1,5 Liter Speichel, der normalerweise geschluckt wird. Ist dies nicht der Fall, sucht er sich einen anderen Weg: Er läuft aus dem Mund. Genau dies ist häufig bei Parkinsonkranken mit Schluckstörung der Fall. Die Betroffenen fühlen sich gedemütigt, ziehen sich zurück, fühlen sich unattraktiv und stigmatisiert. Die ständige Feuchtigkeit führt zu Mazerationen der Haut. Zudem drohen durch die zugrunde liegende Schluckstörung Verschlucken und Aspirationspneumonie, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Jost von der Parkinson-Klinik Ortenau in Wolfach.
Bei einer Befragung von Mitgliedern der Deutschen Parkinson-Vereinigung gaben 56 von 97 Personen an, unter einer Sialorrhö zu leiden. 80 % der Betroffenen erhielten deswegen (noch) keine ärztliche Behandlung, berichtete der Kollege. Für besonders wichtig hält er die logopädische funktionelle Schlucktherapie, wenngleich sie natürlich das zugrunde liegende Problem nicht löst. Anticholinergika sollten seiner Auffassung nach bei den älteren und nicht selten kognitiv beeinträchtigten Menschen nur vorsichtig eingesetzt werden. Am besten verträglich sei Glycopyrrolat.
Eine weitere Option ist die Injektionstherapie mit Incobotulinumtoxin A. Da die Speichelproduktion nur etwa zu einem Viertel in der Parotis stattfindet, aber zu einem weitaus größeren Anteil in der Glandula submandibularis (bis zu 70 %), plädiert Prof. Jost für Injektionen der Substanz in beide Speicheldrüsen. In der Zulassungsstudie SIAXI wurden die untersuchten Dosierungen wie folgt auf die Speicheldrüsen aufgeteilt:
- Gruppe 1: beidseitig 22,5 U (0,6 ml) in die Parotis, 15 U (0,4 ml) in die Gl. submandibularis (75 U insgesamt)
- Gruppe 2: beidseitig 30 U (0,6 ml) in die Parotis, 20 U (0,4 ml) in die Gl. submandibularis (100 U insgesamt)
Die Injektion von 100 U Incobotulinumtoxin A reduzierte die unstimulierte Speichelflussrate gegenüber Placebo zu jedem Zeitpunkt bis zu 16 Wochen signifikant. Bei regelmäßiger Wiederholung der Injektionen konnte der Speichelfluss sowohl durch 75 U als auch 100 U anhaltend vermindert werden, berichtete Prof. Jost, der an der Studie beteiligt war.
Koprimärer Endpunkt von SIAXI war der Wert auf der Global Impression of Change Scale (GICS) nach vier Wochen. Auch aus Patientensicht zeigte sich in der Verumgruppe eine signifikante Verbesserung im Vergleich zu Placebo (100 U, p = 0,002). Relativ wenige Patienten klagten unter dem Botulinumtoxin über einen trockenen Mund (4,4 % unter 75 U, 11,1 % unter 100 U). Ursache dafür dürfte die noch aktive Glandula sublingualis sein, die immerhin 5 % zur Speichelproduktion beisteuert.
Injektionen unter Ultraschallkontrolle
Da die Parotis relativ groß ist, plädiert Prof. Jost für die Infiltration dieser Drüse an zwei Punkten und rät zur Injektion unter Ultraschallkontrolle. So könne Incobotulinumtoxin A sicherer in die Speicheldrüsen injiziert werden.
Bei amyotropher Lateralsklerose ist die Ursache der Sialorrhö die bulbäre Parese. Besonders häufig und früh tritt sie bei Patienten mit bulbärem Beginn der ALS auf. Dies trifft auf etwa ein Drittel der Fälle zu.
Deutliche Reduktion des Speichelflusses über Wochen
Auch bei der ALS ist die funktionelle Dysphagietherapie Kernelement der Behandlung und Incobotulinumtoxin A eine wichtige neue Option, erklärte Dr. Lejla Paracka von der Klinik für Neurologie der Medizinischen Hochschule Hannover. In einer offenen Studie erhielten 14 Patienten mit amyotropher Lateralsklerose ultraschallunterstützt Incobotulinumtoxin A in jede Parotis (50 U) und in beide Gl. submandibularis (25 U). Dies führte bis zu zwölf Wochen lang zu einer signifikanten Reduktion des Speichelflusses. Die Injektionstherapie wurde gut vertragen. Dr. Paracka betonte, dass Incobotulinumtoxin A als einziges Botulinumtoxin A zur Behandlung einer chronischen Sialorrhö aufgrund neurologischer Erkrankungen zugelassen ist.
Kongressbericht: Deutscher Kongress für Parkinson und Bewegungsstörungen 2022
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