
Botulismus, Tetanus, Diphtherie: Vergessene Krankheiten durch Toxinbildner erkennen

Mit Botulinumtoxin verbindet man praktisch nur noch die therapeutische Anwendung. Doch das hochpotente Gift kann eben auch richtig giftig sein, erinnerte Professor Dr. Matthias Klein von der Neurologischen Klinik am Klinikum Großhadern in München. Mindestens sieben immunologisch verschiedene Toxintypen sind bekannt (Serotypen A–G), wobei Typ A für die meisten Botulismusfälle verantwortlich zeichnet. Gebildet wird es vom grampositiven obligat anaeroben sporenbildenden Stäbchenbakterium der Gattung Clostridium, am häufigsten von C. botulinum.
Wenn es zum Botulismus kommt, dann meist zum Nahrungsmittelbotulismus. 2019 wurden in Deutschland sieben Fälle gemeldet. Wund-, Inhalations-, Säuglings- und iatrogener Botulismus sowie die chronische, viszerale Form, die vor allem Landwirte trifft, spielen eine untergeordnete Rolle.
Lebensmittelbotulismus
Beim Botulismus durch Nahrungsmittel handelt es nicht nicht um eine Infektionskrankheit, sondern um eine Vergiftung. Potenzielle Toxinquelle sind selbst eingekochte Lebensmittel mit niedrigem Säuregehalt (z.B. Spargel, Bohnen, Kartoffeln, Rote Bete), die vor dem Verzehr nicht mindestens 10 Minuten durchgekocht wurden, Wurst- und Gemüsekonserven sowie Fischprodukte.
Die Phase zwischen Ingestion des Toxins und dem Beginn der Symptome (Latenzzeit) beträgt in der Regel weniger als 48 Stunden. Los geht es zumeist mit gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen. Rasch gesellt sich dann eine Reihe neurologischer Symptome hinzu, z.B.:
- Dysphagie
- Xerostomie
- Diplopie
- Dysarthrie
- deszendierende Arm und Beinparesen
- Akkomodationsstörungen
Als Differenzialdiagnosen kommen die Myasthenie, das Miller-Fischer-, Guillain-Barré- oder das Lambert-Eaton-Syndrom sowie Elektrolytstörungen infrage.
Ein Lebensmittelbotulismus lässt sich über den Toxinnachweis in Erbrochenem und Stuhl oder den Resten befallener Lebensmittel sichern. Im Serum findet sich das Gift nur für 24–48 Stunden.
Unbehandelt liegt die Letalität des Nahrungsmittelbotulismus hoch, doch mit dem heptavalenten Antitoxin gegen die Typen A–G steht eine effektive Therapie zur Verfügung. Allerdings muss sie rechtzeitig einsetzen, das heißt innerhalb von 48 Stunden. Danach lässt sich das Gift nicht mehr neutralisieren, sodass dann nur die symptomatische Therapie bleibt. Bei kurzer Inkubationszeit (wenige Stunden) kann auch eine endoskopisch gestützte Magenspülung helfen. Alle betroffenen Patienten sollten auf einer Intensivstation versorgt und überwacht werden, betonte Prof. Klein.
Wundbotulismus
Im anaeroben Wundbereich keimen die Clostridiensporen aus und produzieren anschließend Botulinumtoxin. Therapeutisch ist ein gründliches Débridement und die Gabe von Penicillin G erforderlich. Die Krankheit hinterlässt keine bleibenden Schäden – aber auch keine Immunität.
Botulinumtoxin als Biowaffe
Tetanus
Eine Krankheit, die hierzulande kaum noch gesehen wird, ist der Tetanus. Eigentlich eine gute Nachricht, da sie für eine hohe Durchimpfungsrate spricht, sagte Privatdozentin Dr. Bettina Pfausler von der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Tatsächlich liegt die Impfquote hierzulande bei 95 %. Leider gerät die Wiederauffrischung aber mit den Jahren immer mehr in Vergessenheit und so droht die Infektion vor allem älteren Menschen. Eine Meldepflicht gibt es nicht, sodass keine exakten epidemiologischen Daten vorliegen. Das Robert Koch-Institut nennt für Deutschland seit 2007 weniger als zehn Fälle pro Jahr. Die Sporen des grampositiven, anaeroben Clostridium tetani überleben in Erde und Staub jahrelang, Hitze und Antiseptika können ihnen nichts anhaben. Nach Kontamination einer Verletzung wandert das Tetanustoxin entlang der peripheren Nerven ins Rückenmark und blockiert dort die Freisetzung von GABA und Glycin in den synaptischen Spalt. Die Folge: eine Daueraktivität des alpha-Motoneurons mit ungebremsten Muskelkontraktionen sowie die Enthemmung des autonomen Nervensystems. Man unterscheidet vier Manifestationsformen des Tetanus:- generalisiert (mit 80 % am häufigsten)
- neonatal
- lokalisiert
- zephal
Differenzialdiagnosen bei Tetanus
- parapharyngeale/peritonsilläre Abszesse
- fokale Dystonien
- Strychnin-Intoxikation
- Enzephalitis
- malignes Neuroleptika-Syndrom
- Fazialisparese
- Giftproduktion unterbrechen: Débridement, Metronidazolgabe (alternativ Clindamyin, Tetracyclin, Vancomycin)
- zirkulierendes Toxin binden: Gabe von humanem Tetanus-Immunglobulin (hTIG, 500–3000 IE i.m. oder intrathekal)
- Muskelspasmen kontrollieren (Benzodiazepine, Stimuli, Muskelrelaxanzien, Magnesiumsulfat, Baclofen, Botulinumtoxin)
- vegetative Symptome beherrschen (Alpha- und Betablocker, Betablocker alleine erhöhen die Mortalität)
- allgemeine intensivmedizinische Maßnahmen anwenden
Diphtherie
Den ersten hiesigen Diphtherie-Ausbruch nach 40 Jahren beschrieben Kollegen im Mai 2019. Nach einem Aufenthalt in Somalia heilte bei einem Kind eine Brandwunde nicht. Schließlich konnte man darin neben Streptococcus pyogenes toxigenes Corynebacterium-diphtheriae-biovar-mitis nachweisen, das sich gegenüber Penicillin G und Erythromycin als resistent erwies. Bei einem weiteren Kind der Familie entpuppten sich mehrere „Insektenstiche“ ebenfalls als Hautdiphtherie. Beide Kinder waren nicht geimpft, was umgehend nachgeholt wurde. Die Infektion heilte unter der Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure sowie einem Wunddébridement ab. In Deutschland wird bereits seit 1960 umfassend gegen Diphtherie geimpft, damit ließ sich die meldepflichtige Krankheit erheblich eindämmen. Zwischen 2001 und 2016 notierte das RKI 80 Fälle mit dermalen Manifestationen, berichtete Professor Dr. Uta Meyding-Lamadé, Klinik für Neurologie, Krankenhaus Nordwest, Frankfurt am Main. Der Mensch dient dem fakultativ anaeroben, grampositiven C. diphtheriae als einziges Reservoir, die Übertragung erfolgt über Tröpfchen oder direkten Kontakt mit Läsionen. Nach 2–5 Tagen Inkubationszeit kommt es zu ersten Symptomen. An der Haut zeigen sich schmierig-belegte Ulzerationen, es liegen oft Mischinfektionen vor. Patienten mit respiratorischer Diphtherie klagen über Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und Fieber. Nach kurzer Zeit bilden sich im Rachen die typischen grau-weißen oder bräunlichen Pseudomembranen, die beim Ablösen bluten. Kindern drohen durch Befall des Kehlkopfes Krupp-Anfälle. Jeder fünfte Patient weist im Verlauf eine Nervenbeteiligung auf, sie äußert sich u.a. durch Gaumensegelparesen, Akkomodationsstörungen oder das Sehen von Doppelbildern. Wiederum 20 % davon entwickeln eine demyelinisierende sensomotorische Polyneuropathie ähnlich einem Guillain-Barré-Syndrom. Im schlimmsten Fall kommt es zur toxischen Diphtherie mit Nierenversagen, Myokarditis und zervikaler Schwellung. Die Letalität der Krankheit allgemein beträgt 5–10 %, die der toxischen Form liegt deutlich höher. Die schnelle Therapie kann die Wahrscheinlichkeit für eine Neuropathie um 50 % reduzieren, „time is nerve“, sagte Prof. Meyding-Lamadé. Innerhalb von 48 Stunden sollte man das Diphtherie-Antitoxin verabreichen, danach ist das Gift in der Zelle und damit unerreichbar. Antibiotisch setzt man Erythromycin und Rifampicin (über sieben Tage) ein. Komplikationen werden entsprechend ergänzend behandelt. Achtung: Enge Kontaktpersonen brauchen unabhängig von ihrem Impfstatus eine Chemoprophylaxe, z.B. mit einer einmaligen Dosis Benzyl-Penicillin i.m. Damit soll der Erreger ausgemerzt und eine Infektionskette verhindert werden. Und wie bei den anderen toxinbedingten Krankheiten gilt: Da die Diphtherie keine Immunität hinterlässt, schützt nur die Impfung vor dem Rezidiv.Kongressbericht: Arbeitstagung NeuroIntensivMedizin 2020
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).